18.09.2024, 12:56
Der große Form-Check vor dem Saisonstart
Die Bayern gehen als Titelverteidiger und als klarer Meisterschaftsfavorit in die neue BBL-Saison. Und dahinter? Wie könnte das Kräfteverhältnis am Ende der Saison 2024/25 aussehen? Das Power Ranking unternimmt einen Versuch und blickt in die Glaskugel.
Dabei werden die 17 Teams in Qualitätskategorien eingeordnet, "Tiers" nennt man das NBA-Kosmos gerne: und zwar in Titelanwärter, sichere Playoff-Teams, mögliche Playoff-Teams, Mannschaften im Niemandsland und Mannschaften im Abstiegskampf. Auf Grund der meist hohen Fluktuation an Spielern ist eine Prognose in der BBL vor Saisonstart eben nicht einfach, gerade innerhalb der fünf Kategorien könnten sich also Verschiebungen ergeben.
Nun ist es Sinn einer Preseason, vor Beginn einer Saison zu testen, doch wenn der eigene Trainer von einer "Lehrstunde in Demut" spricht, die einen "auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt" hat, wirft das dennoch Fragen auf. Genau so äußerte sich Göttingens Olivier Foucart nach einer 33-Punkte-Packung gegen die Leuven Bears.
Mit sechs Niederlagen aus sieben Testspielen verlief die Preseason überhaupt holprig, in den ersten Saisonmonaten müssen die Veilchen zudem auf das dänische Guard-Talent Noah Churchill Sørensen verzichten, ohne (bisher) nachgebessert zu haben - der Spieleretat musste leicht gesenkt werden. Dabei scheint gerade der Backcourt, in einer Guard-Liga wie der BBL, nicht sehr stark besetzt zu sein, auch hinter der deutschen Rotation (wenngleich Collin Welp den nächsten Schritt machen dürfte) und der Tiefe des Kaders stehen Fragezeichen.
Ein Erfolgsrezept vergangener Aufsteiger war es, mit Kontinuität im Aufstiegskader in die BBL-Saison zu gehen und so zum Saisonstart Siege für den Klassenerhalt einzufahren. Die Skyliners aus Frankfurt haben mit Shooting Guard Booker Coplin sowie den Big Men Lorenz Brenneke und David Muenkat hingegen nur mit drei Spielern verlängert, hinzu kommt Jacob Knauf.
Um in der BBL den Klassenerhalt zu sichern, schienen Veränderungen aber unabdingbar, vor allem, um eine unterdurchschnittliche ProA-Offensive zu stärken. Doch werden die Zugänge Trey Calvin und Malik Parsons nicht zu viel schultern müssen? Frankfurts Trainer Denis Wucherer dürfte sein Glück auch mit Drei-Guard-Lineups versuchen. Ein Fragezeichen steht hinter der deutschen Rotation, deren Akteure es bislang nicht über den Status als Rollenspieler hinaus geschafft haben.
Der neue Coach Przemyslaw Frasunkiewicz mag zwar in der BBL unbekannt sein, ist aber ein auf europäischem Parkett erprobter Coach, der bei seinem alten Club in Polen Defensivqualitäten bewiesen hat. Mit einem neuen Sportdirektor musste er einen neuen Kader aufbauen, der mit Combo-Guard Dominic Lockhart und Center Godwin Omenaka gute Verteidiger nach Rostock gebracht hat.
Offensiv werden sich die Rollen erst noch finden müssen, Aigars Skele wird in neuer Rolle als Aufbau eine Schlüsselspieler sein. Die Hanseaten gehen nur mit fünf Ausländern in die neue Saison, dafür biete die deutsche Rotation eine gewisse Tiefel. Dass die Play-Ins in weiter Ferne sind, mag das Aus im Pokal - als einziger Erstligist - verdeutlichen, wo das Team laut Frasunkiewicz teils "wie Zombies" ausgesehen habe...
Offense wins games, defense wins against Weißenfels. In den vergangenen Jahren waren die Weißenfelser das Team mit der größten Diskrepanz zwischen guter Offense und schwacher Defense. Mit dem neuen Trainer Janis Gailitis hat der MBC nun einen Coach verpflichtet, der in Riga eine überdurchschnittliche Verteidigung auf Champions-League-Niveau implementiert hatte.
Dem Kader geht etwas die Athletik ab, die meisten Akteure sind nicht mehr die jüngsten, auf der Gegenseite aber BBL-erfahren. Mit Michael Devoe soll einer der jüngeren Akteure für das Scoring sorgen, eine starke Preseason deutet an, dass er die Reihe der starken Weißenfelser Shooting Guards fortsetzen könnte. Mit nur fünf ausländischen Profis gehen die Wölfe in die Saison, womit sie unter der Saison bei Bedarf einfach nachbessern könnten.
Nach 20 Jahren wird Braunschweig wieder auf internationalem Parkett antreten, doch inwieweit ist der Kader für diese Doppelbelastung gewappnet? Über breite internationale Erfahrung verfügen nur Guard Arnas Velicka und Center Gavin Schilling. Erstgenannter trat in seiner BBL-Zeit jedoch nich sehr effizient auf, Letzter kommt von einer Saison mit langer Verletzungspause.
Coach Ramirez hat es zuletzt aber immer wieder geschafft, dass seine Teams über den Erwartungen gespielt und Spieler individuell den nächsten Schritt gemacht haben. Mit Benjamin Schröder nach zwei glücklosen College-Jahren und Martin Kalu per Ausleihe aus München stehen zwei talentierte deutsche Flügelspieler im Kader, die aber sicher ab und an noch Lehrgeld zahlen werden. Wenige Teams verfügen aber über so viel Upside wie der Club von Dennis Schröder.
Der Glanz alter Tage ist in Bamberg längst verblasst. Als eines von vier Teams der Liga mussten alle ausländischen Profis ersetzt werden, die Bamberger rekrutierten dabei u.a. aus Rumänien, Schweden oder Ungarn. Man geht in der ENBL an den Start - ein fünfter europäischer Wettbewerb, den man in Deutschland noch gar nicht auf dem Radar hatte. Kann allein der Ulmer Meistertrainer von 2023 und langjährige Bamberger Spieler Anton Gavel den Standort wiederbeleben?
In seinen bisher zwei Jahren als BBL-Headcoach in Ulm konnte Gavel eine Top-5-Offense und -Defense installieren, hatte aber natürlich bessere Spieler zur Verfügung. Durch die vielen Wechsel müssen sich Rollen herausbilden, mit Noah Locke fällt ausgerechnet ein Schlüsselspieler mit einer Schulterverletzung mehrere Monate raus. Erfahrung kommt von der deutschen Rotation. Bamberg ist dennoch mit die größte Wundertüte.
Heidelberg oder Tübingen - Hauptsache Ligaverbleib. Die Academics haben sich in Danny Jansson mit dem letztjährigen Trainer der Tigers Tübingen verstärkt, welcher gleich vier ehemalige Spieler aus Tübinger Zeiten mitbringt. Warum es entgegen der Tigers nun für die Academics mit dem Klassenerhalt klappt?
Jansson fehlte bei den Tigers Größe, das wird sich in Heidelberg ändern. Die Academics haben sich auch athletischer aufgestellt und haben - ungewöhnlich für ein Team im unteren Tabellendrittel ohne internationale Teilnahme - zum Saisonstart sieben ausländische Profis im Kader, Jansson hat also Rotationsmöglichkeiten. Der finnische Trainer ließ in Tübingen einen attraktiven Basketball aus einem dicken Playbook spielen, nun dürfte es in Heidelberg auch effizienter zugehen. Heidelberg hat mit Kreativspielern wie Ryan Mikesell am Flügel Überraschungspotential.
Man darf durchaus in Frage stellen, ob ein Team mit zweijähriger Playoff-Abstinenz eigentlich ein EuroCup-Dauergast sein sollte, für die Towers bedeutet das aber auch, dass ein Schlüsselspieler wie Brae Ivey geblieben ist- und zusammen mit Zugang Jaizec Lottie eines der besseren Ballhandler-Duos der Liga bilden sollte. Eine Anfälligkeit für Ballverluste, die sich in den vergangenen Jahren eingeschlichen hat, müssen sie aber erstmal beheben.
Auf der Trainerbank hat Benka Barloschky derweil eine nennenswerte Entwicklung vollzogen - gerade in der BBL, wo einheimische Trainer keinen einfachen Stand haben, beachtenswert. Unter dem Korb dürften die Towers defensiv stabiler, die deutsche Rotation allgemein stärker sein - noch stärker, hätte sich Niklas Wimberg nicht verletzt. Immerhin fanden die Towers in Patrick Heckmann einen deutschen Rotationsspieler, was sonst nicht so einfach ist.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein in Deutschland sozialisierter Trainer mit EuroLeague-Erfahrung bei einem BBL-Club arbeitet. Svetislav Pesic, Dirk Bauermann, Chris Fleming kommen einem in den Sinn. Einen solchen Trainer hat Vechta mit Martin Schiller verpflichten können, der bei Zalgiris Kaunas gezeigt hat, was er auf EuroLeague-Niveau leisten kann.
Schiller hat bislang mit offensiv versiertem Basketball wie auch einem Fokus auf Spielerentwicklung überzeugt, was gut zu Vechta passt: RASTA hat einen Unterbau, der sich auch im europäischen Vergleich nicht zu verstecken braucht, daraus könnte Johann Grünloh einer der nächsten deutschen NBA-Kandidaten sein, der aber sein Offensivspiel noch verfeinern muss. Von den fünf ausländischen Zugängen ohne Kurzzeitvertrag hat keiner bislang mehr als eine Saison in Europa verbracht. Doch Schiller kann ein Joker sein.
Coach Filipovski hatte mit seinem heliozentrischen Basketball, bei dem die Ballhandler im Fokus stehen, zuletzt Erfolg: Mit Stanley Whittaker und Cameron Hunt schnupperten die Franken 2022/23 an den Playoffs, mit Otis Livingston, Isaiah Washington und Darius Perry ging es 2023/24 sogar bis ins Playoff-Halbfinale. Nun sollen Jhivvan Jackson und Mike Davis Jr. das starke Guard-Tandem bilden.
Sich in den Vordergrund spielen dürfte mit Zac Seljaas aber auch ein Forward, der Verblieb des Kultspielers und einer der Überraschungen der vergangenen Saison ist Gold wert. Derweil überraschten die Franken auch durch ihre Teamverteidigung, der Verlust von Javon Bess als einer der besten Defensivspieler soll von Nelson Philipps aufgefangen werden. Die deutsche Frontcourt-Rotation kann sich ebenfalls sehen lassen.
Oldenburg ist vielleicht der Club, der gemessen an den Ansprüchen am stärksten unter Druck steht. Der letzte Playoff-Sieg datiert aus der Spielzeit 2020/21, seitdem verpasste der Club zweimal die Playoffs, auch vergangene Saison, womit es in dieser Spielzeit immerhin keine Doppelbelastung gibt. So sollte Coach Pedro Calles' druckvolle Verteidigung mit vielen forcierten Ballverlusten mehr denn je greifen. Auch Calles muss liefern ... und zeigen, dass er sich seit seiner Zeit in Vechta offensiv weiterentwickelt hat.
Mit Justin Jaworski hat Oldenburg einen Combo-Guard verpflichtet, der um die Topscorer-Krone werfen dürfte. Dass Seth Hinrichs - ein Lieblingsspieler Calles' - nun endlich einen deutschen Pass erhalten hat, hilft bei der Kaderbalance. Zwar ist Oldenburg zuletzt ein Team gewesen, das man in Power Rankings vor der Saison schon mal überbewertet hat, ein klares Playoff-Kaliber sind die Donnervögel gleichwohl.
Coach Roel Moors hat des Öfteren ein gutes Auge beim Recruiting bewiesen, mindestens einer der in Europa unerfahrenen Zugänge könnte also einschlagen - wie Darius McGhee. Nun sind die Fußstapfen der kleinen Ballhandler TJ Shorts und Parker Jackson-Cartwright besonders groß, aber McGhee könnte zumindest für ähnlich viel Aufsehen sorgen - und zusammen mit Thomas Kennedy eines der stärksten Guard-Center-Duos der Liga bilden.
Damit dürfte die Moors-Truppe an die vergangene Saison anknüpfen, als sie lange Zeit offensiv auf Top-Niveau agierte. Der Bonner Kader wirkt im Vergleich zur vergangenen Saison ausbalancierter - vor allem auf Groß, wo Till Pape und der abgewanderte Chris Sengfelder in der Spielanlage zu ähnlich waren -, athletischer und variabler. Hier hat Moors bereits gezeigt, dass das Post-up nicht vom Aussterben bedroht ist.
Personalrochaden vor der Saison gehören bei Ludwigsburg unter John Patrick schon fast zum guten Ton. Diese mögen vielschichtig sein, doch sportlich kann man eigentlich immer davon ausgehen, dass Patrick eher früher (wie mit Defensivass und Rückkehrer Justin Simon) als später passende Spieler für seine Philosophie gefunden hat.
Die Ludwigsburger sind ein Meister der Wurfchancen: auf den Ball aufpassen, viele Ballverluste forcieren, beim Offensiv-Rebound dominieren ist das Erfolgsrezept. Den oft zitierten Guard-Terror kann man bei Patrick mittlerweile auch offensiv verorten, wenn die Ballhandler viele Würfe für sich beanspruchen: Hunter Maldonado oder Kellan Grady darf man im Auge behalten. Derweil hat sich in der Preseason ein Big Man in der Vordergrund gespielt: Joel Scott mag zwar ein Rookie, bei Patricks gutem Netzwerk in die NCAA aber auch ein Volltreffer sein.
Der Ulmer Weg setzt sich fort: Mit dem 18-jährigen Ben Saraf aus Israel haben sich die Schwaben das nächste europäische Top-Talent gesichert, in den vergangenen Jahren begeisterten in Ulm auch Juan Nunez, Pacome Dadiet oder Killian Hayes. Zudem dürfte der erst 17-jährige Franzose Noa Essengue einen weiteren großen Schritt machen. Auf Saraf wird viel Verantwortung zukommen, zusammen mit Combo-Guard Nelson Weidemann muss er den Spielaufbau übernehmen. Schaffen die beiden das konstant auf Top-Niveau?
Mit dem nächsten Brasilianer sorgt Ulm auch an anderer Stelle für Kontinuität, wobei Marcio Santos als 21-Jähriger beim ersten Engagement außerhalb der Heimat eine nicht so große Rolle spielen dürfte, wie es aber Isaiah Roby tun wird. Der Forward mit der Erfahrung von 151 NBA-Spielen dürfte ein Highlight der Liga sein. Eine weitere Stärke Ulms ist die Konstanz bei der deutschen Rotation und die Dreiergefahr.
In der vergangenen Saison hatte Chemnitz im Playoff-Halbfinale Berlin am Rand der Niederlage, der Sieger des FIBA Europe Cups dürfte auch in dieser Spielzeit mit einem Finaleinzug liebäugeln - da dem Club das Kunststück gelang, mit Eckpfeilern wie Jonas Richter, DeAndre Lansdowne, Aher Uguak und Jeff Garrett zu verlängern. Verlängerungen, zu denen sonst doch nur die beiden EuroLeague-Clubs imstande sind.
Wie zuletzt scheint die deutsche Rotation etwas dünn zu sein, doch diesen Spagat hat Coach Rodrigo Pastore bereits gemeistert. Dass es neben dem Combo-Guard Lansdowne eigentlich keinen etatmäßigen Einser gibt, scheint bei dem Headcoach dieser Qualität nicht so sehr ins Gewicht zu fallen. Denn wenn es positionslosen Basketball in der BBL gibt, dann am ehesten in Chemnitz, wo Pastore die vielleicht beste Switching-Defense installiert hat.
Die Berliner waren zuletzt so etwas wie das deutsche "Jekyll and Hyde"-Team: in der EuroLeague Tabellenletzter, in der BBL in den Finals. Dennoch verlief auch die Saison in der einheimischen Liga etwas holprig, womit nach einer wenig überzeugenden Offseason die Frage besteht, wie sehr die Konkurrenz an Berlins Status als Nummer zwei rütteln kann. Nichtsdestotrotz können sich die beiden Zugänge Will McDowell-White - als wohl bester Berliner Ballhandler - und Trevion Williams - als Kreativgeist auf Groß - sehen lassen.
Zuletzt schien sich ALBA von der freien Offensive der Aito-Ära etwas verabschiedet zu haben, nicht nur anhand der Stil-Frage steht auch Headcoach Israel Gonzalez unter Druck. Ihm muss es gelingen, aus einem nicht ganz ausbalancierten Kader (samt neun ausländischer Profis) eine Einheit samt funktionierender Rollenbildung zu formen.
"Wir haben die besten deutschen Spieler außerhalb der NBA - vielleicht mit Ausnahme von Isaac Bonga." Und sie haben den ehemaligen Bundestrainer Gordon Herbert. Der neue Münchener Sportdirektor Dragan Tarlac hat eine Ansage gemacht, die in großen Teilen auch stimmt. Mit Johannes Voigtmann, Oscar da Silva und Kevin Yebo ist die eh schon starke deutsche Rotation noch stärker geworden, der einstige Vorteil Berlins ist nach München ausgeschlagen.
Dass auf dem (Vertrags) Papier die Kluft zwischen Bayern und Berlin (und dem Rest der Liga) noch größer zu werden scheint, zeigen auch die ausländischen Verpflichtungen - zumindest vom Namen her ist ein Shabazz Napier eine große Nummer. Offensiv dürfte das Team stärker, defensiv schwächer, da weniger variabel, geworden sein. Der Titel geht dennoch nur über die Bayern, in den vergangenen Jahren war der Wunsch nach den EuroLeague-Playoffs ein Grund, warum die Münchener national mal einen Gang rausgenommen haben. Mit, für bayerische Verhältnisse, nur sechs ausländischen Profis kann Herbert in der BBL ohne Restriktionen rotieren.
Manuel Baraniak