29.11.2024, 11:33
MIP, All-Star oder sogar noch mehr?
Nach der Verletzung von Paolo Banchero hat sich Franz Wagner endgültig in den Fokus gespielt und zählt bisher zu den besten Spielern der jungen Saison. Der Sprung ist vor allem auf mentaler Ebene erfolgt - und präsentiert den Magic eine neue Herausforderung, wenn ihr Team wieder vollständig ist. Allerdings eine der guten Art.
Eigentlich war es klar, dass es genau so kommen musste. Dass der Wurf, der endlich (auch) die breite Aufmerksamkeit auf den Saisonstart Franz Wagners lenkte, ein solcher Wurf sein musste: Ein spielentscheidender Stepback-Dreier in der crypto.com Arena bei den Los Angeles Lakers. Die Art von Wurf, die noch vor wenigen Monaten im negativen Sinn die Aufmerksamkeit auf ihn gezogen hatte.
28,1% von draußen hatte Wagner 23/24 getroffen, die mit Abstand schwächste Quote seiner Laufbahn als Basketballer. Die überstrahlte, wie gut sich sein Spiel in anderen Bereichen entwickelte. Die Zweifel hervorrief, ob die Entscheidung der Magic, ihm einen neuen Vertrag über fünf Jahre und mindestens 224 Millionen Dollar anzubieten, eine gute war.
Die auch ihn beschäftigte. "Vieles für uns Spieler ist mental", erklärte Wagner kürzlich. "Für mich ist es wichtig, dass ich das über den Sommer abgehakt habe. Ich bin weit gekommen, seit ich in der Liga bin, aber letztes Jahr war teilweise schon ein Kampf für mich. Fortschritt ist nie linear, deshalb muss man einen kühlen Kopf bewahren."
Er hat es abgehakt - der Wurf hat sich normalisiert (34,7%), die Frage, ob der Vertrag eine gute Idee war, stellt momentan niemand mehr. Wagner ist einer der Breakout-Spieler der bisherigen Saison. In Bezug auf seinen Vertrag stellt sich jetzt schon eher die Frage, ob dieser nicht sogar noch teurer werden könnte.
Ein paar Spiele brauchte Wagner, brauchte Orlando, um sich auf die neue Situation einzustellen. Kurz nach einem 50-Punkte-Ausbruch hatte sich Paolo Banchero nach dem fünften Saisonspiel mit einem Riss im schrägen Bauchmuskel abgemeldet, irgendwann im Dezember soll er zurückkehren. Die ersten vier Spiele nach seiner Verletzung wurden allesamt verloren.
Dann wurde erfolgreich adjustiert. Wagner, der zuvor weitaus mehr abseits des Balles gespielt hatte, rückte in eine neue, fast schon heliozentrische Rolle, seine Touches haben sich seit der Banchero-Verletzung ansatzweise verdoppelt. Seine Usage-Rate ist von 25,7% im Vorjahr auf 30,3% gestiegen, im November sind es sogar 31,7%.
Über den gesamten Monat fungierte der 23-Jährige als wichtigster Scorer und Playmaker des Teams, schraubte seine Aggressivität hoch und kreierte mit einer Selbstverständlichkeit, die ihm in den vergangenen Jahren noch teilweise abging. 25,1 Punkte, 5,8 Rebounds und 6,4 Assists pro Spiel fabrizierte er im November - das sind Superstar-Zahlen, ohne Wenn und Aber.
"Das Überraschende ist, dass mich mittlerweile gar nichts mehr überrascht", sagte sein Bruder Moritz kürzlich. "Das ist das Beeindruckende. Ich erwarte jetzt einfach, dass er es tut. Es interessiert mich gar nicht, wie oft er jetzt 30 auflegt, weil es so normal geworden ist." Derzeit ist es das tatsächlich.
Wagners Highlight des Monats war der erwähnte Dreier in Los Angeles - andere Szenen verdeutlichten den Wandel in seinem Spiel aber noch stärker. Etwa gegen Detroit: Die ersten beiden Offensiv-Possessions des Spiels verliefen suboptimal (ein Layup Wagners wurde geblockt, dann verlor er den Ball), aber Wagner ließ sich nicht beirren.
Possession drei war ein erfolgreicher Layup Wagners. Possession vier ein Dreier von Tristan da Silva nach Assist von Wagner. Die nächsten beiden Field Goals seines Teams bereitete Wagner ebenfalls vor. Es gibt keine Zweifel, kein Zögern in seinem Spiel. Wagner bleibt unbeirrbar, weil es an Alternativen fehlt. Er muss das Team offensiv schultern, weil er oft der einzige ist, der für sich und andere jederzeit Würfe kreieren kann.
Selbst wenn das auch mal bedeuten kann, dass er einen Wurf erzwingen muss, was eigentlich nicht seinem Naturell entspricht. "Fühl dich unwohl", sei daher seine Botschaft an Wagner, erklärte Head Coach Jamahl Mosley. "Er will immer das Richtige tun. Es ist nicht sein Wunsch, schwere Würfe zu nehmen. Aber manchmal braucht sein Team eben genau das von ihm."
Pl. | Team | Siege | Niederlagen | % |
---|---|---|---|---|
1 | Cleveland Cavaliers | 17 | 2 | 89,5 |
2 | Boston Celtics | 15 | 3 | 83,3 |
3 | Orlando Magic | 13 | 7 | 65,0 |
4 | New York Knicks | 10 | 8 | 55,6 |
5 | Milwaukee Bucks | 9 | 9 | 50,0 |
6 | Miami Heat | 8 | 8 | 50,0 |
Zuletzt haben die Magic ihr Rezept gefunden, um ohne Banchero trotzdem erfolgreich zu sein. Zehn der letzten elf Spiele wurden gewonnen - die meisten zuhause und fast alle gegen schwächere Teams, und dennoch hätten ihnen diesen Run ohne den vermeintlich besten Spieler sicherlich nicht viele Beobachter zugetraut.
Das Rezept ist erschreckend simpel. Die Defense ist überragend, wie im Vorjahr: Es fällt niemandem leicht, gegen dieses beinharte, tiefe und fundamental extrem solide Team Punkte zu erzielen. Defensive Schwachstellen gibt es fast gar nicht, und wenn doch, werden diese vom Verbund (und im Zweifel Jonathan Isaac) herausragend beschützt.
Und offensiv gibt es ein Komitee: Irgendwie fabrizieren die Magic mehr Punkte als der Gegner, selbst wenn es nicht immer schön aussieht und selbst wenn viele Spieler eher für ihre Defense aufgestellt werden. Moritz Wagner ist mit 14,7 Punkten der zweitbeste Magic-Scorer des aktuellen Runs, dabei spielt er bloß 20,2 Minuten pro Partie. Der offensive Unterschiedsspieler, das ist vollkommen offensichtlich, ist sein jüngerer Bruder.
Wobei das Ausmaß zum Teil vielleicht doch nicht so offensichtlich ist. Wagner gilt zwar schon jetzt als (zu früher) Top-Kandidat für den Most Improved Player-Award und seine erste All-Star-Nominierung, gräbt man statistisch etwas tiefer, zeigt sich jedoch ein Bild, das sogar noch mehr andeutet.
Diversen Advanced Stats zufolge ist Wagner kein bloßer All-Star-Kandidat, sondern ein Top-10-Spieler der laufenden Spielzeit. Bei "Win Shares" und "Box Plus/Minus" belegt er Platz 8, bei "Value Over Replacement Player" steht er auf Platz 5 - und bei der Statistik "LEBRON" von bball-index.com sogar auf dem vierten Rang, nur hinter den zertifizierten MVP-Kandidaten Jokic, Gilgeous-Alexander und Tatum.
In diesem Kreis muss man ihn noch nicht sehen. Wie ein möglicher All-NBA-Spieler allerdings tritt Wagner derzeit tatsächlich auf. Was Implikationen haben könnte; wird Wagner in ein All-NBA-Team gewählt, kann er 30% des Salary Caps verdienen, sein Vertragsvolumen würde also von 224 auf (schätzungsweise) 269 Mio. steigen. Womit sie vermutlich leben könnten.
Schließlich würde das bedeuten, dass sich Wagner seine Aggressivität auch nach Bancheros Rückkehr beibehalten hat. Denn das ist nun die Kernfrage in Orlando: Wie verändert sich der Ansatz, wenn der Topscorer zurückkehrt? Wie schaffen es die Magic, beiden Forwards genug Touches einzuräumen und ihre offensiven Möglichkeiten zu maximieren?
Das Paradoxe bei Wagner: Eine seiner besten Qualitäten ist schon seit Jahren sein Off-Ball-Spiel. Seit Jahren, und spätestens seit Bancheros Ausfall zeigt er jedoch: Auch das On-Ball-Spiel kann elitär sein - Wagner ist ein dynamischer Driver, ein starker Passer, der auch bei hoher Usage kaum Ballverluste produziert, und fühlt sich immer wohler mit dem Pullup. Der Ball muss folglich auch in seine Hände gelegt werden. Vielleicht muss er die Touches auch einfordern.
"Es ist auch für mich ein kleiner mentaler Wandel", erklärte Wagner. "Ich bin als jemand aufgewachsen, der viel abseits des Balles spielte und immer nur richtig gute Würfe nahm. Manchmal ist es aber auch okay, zum Beispiel einen Mitteldistanzwurf zu nehmen, auch wenn mir das nicht unbedingt so beigebracht wurde. Das ist eine gute Herausforderung für mich."
Und für die Magic. Nahezu jedes andere NBA-Team würde ihnen das "Problem" gerne abnehmen, dass der vermeintliche "Gehilfe" in ihrer Teamkonstruktion selbst einer der besten jungen Spieler der Liga ist. Denn das ist so - und eigentlich hätte es für diese Erkenntnis keinen Game-Winner in L.A. brauchen müssen. Geschadet hat dieser aber sicherlich auch nicht.
Saison | Spiele | MIN | PTS | FG% | 3P% | REB | AST |
---|---|---|---|---|---|---|---|
21/22 | 79 | 30,7 | 15,2 | 46,8 | 35,4 | 4,5 | 2,9 |
22/23 | 80 | 32,6 | 18,6 | 48,5 | 36,1 | 4,1 | 3,5 |
23/24 | 72 | 32,5 | 19,7 | 48,2 | 28,1 | 5,3 | 3,7 |
24/25 | 20 | 32,1 | 23,3 | 46,7 | 34,7 | 5,4 | 5,7 |
Ole Frerks