25.07.2024, 15:56
Center als Reizfigur bei Olympia
Joel Embiid war in gewisser Weise die spektakulärste "Verpflichtung" für Team USA, ist bei den Olympischen Spielen aber so etwas wie die Reizfigur des Teams. Das liegt nicht nur daran, dass er ursprünglich für das Gastgeberland spielen wollte.
Viel wurde in den vergangenen Tagen und Wochen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem echten Dream Team und der heutigen Version von Team USA philosophiert. Eine nicht so oft diskutierte Parallele: Während beide Teams verehrt und einige Spieler fast ehrfürchtig behandelt wurden, gab es jeweils wenigstens einen Abweichler. Wobei die Gemeinsamkeiten zwischen Christian Laettner und Joel Embiid an diesem Punkt auch schon aufhören.
Laettner war 1992 noch College-Spieler, Embiid ist 30, ein MVP und Topscorer der NBA. Er ist gewissermaßen der größte Coup von Team USA, wenn auch nicht der größte Name in der Basketball-Welt. Er ist der beste NBA-Regular-Season-Spieler, den die Amerikaner bei diesen Spielen in ihren Reihen haben. Er kann und soll für dieses Team eine große Rolle spielen.
Er ist auch ein Spieler, der bei diesem Turnier aus verschiedenen Gründen argwöhnisch betrachtet wird. Nicht, dass ihn das stören würde. "Ich erwarte eine ganze Menge Buhrufe", sagte Embiid kürzlich noch zur New York Times. "Aber ich liebe das, um ehrlich zu sein. Es wird nichts sein, was ich noch nicht gesehen habe." Wenn er sich da mal nicht täuscht.
Embiid wurde bereits bei seiner Ankunft in Frankreich mit Buhrufen bedacht, bei den Spielen dürfte es noch lauter werden. Der Grund ist simpel: Die Gastgeber hätten ihn gerne in ihren Reihen, lange Zeit sah es sogar danach aus, als würde sich Embiid, der aus Kamerun stammt, Familie in Frankreich hat und seit 14 Jahren in den USA lebt, tatsächlich dazu entscheiden, für die Franzosen zu spielen. In einem geleakten Brief aus dem Jahr 2021 formulierte er diesen Wunsch, ohne es danach jedoch "offiziell" zu machen.
Im Mai 2022 erhielt er einen französischen Pass, vier Monate später aber auch die US-Staatsbürgerschaft. Im Basketball war Embiid fortan der begehrteste "Free Agent" der Welt, und haderte laut Eigenaussage mit der Entscheidung. Am liebsten habe er für Kamerun spielen wollen, sein Geburtsland hat sich jedoch nicht für Olympia qualifiziert.
Es blieben die USA und Frankreich als Optionen, im Oktober 2023 legte sich Embiid dann auf die Amerikaner fest - und verärgerte die Franzosen, die ihm vorwarfen, den leichtesten Weg zu einer Medaille gewählt zu haben. Was zum Teil vielleicht stimmt, aber laut Embiid nicht die ganze Geschichte erzählt. Auch die koloniale Vergangenheit habe eine Rolle gespielt.
"Ich habe immer noch Familie in Kamerun, und ich wollte ihnen keine negative Stimmung zumuten. Ich will, dass sie sicher sind, und die Verbindung zwischen Frankreich und Kamerun beziehungsweise Afrika im Allgemeinen ist nicht gut", sagte Embiid. Dazu habe er sich auch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgetauscht, der ihn umstimmen wollte.
Das sind legitime Gründe, unterm Strich spielt es ohnehin keine Rolle, weil die Entscheidung bei ihm liegt, egal, ob sie jemanden enttäuscht - Embiid hat definitiv eine engere Verbindung mit den USA als einst Chris Kaman nach Deutschland, beispielsweise. Übel genommen wird sie ihm trotzdem, aber damit kann Embiid laut Eigenaussage leben. Er hat eigentlich auch wichtigere Themen, mit denen er sich derzeit beschäftigen muss.
Die Goldmedaille etwa - wenngleich die Amerikaner natürlich zurecht die überwältigenden Favoriten sind, zeigte die Vorbereitung doch, dass dieses Team nicht unfehlbar ist und durchaus Schwierigkeiten mit Teams haben kann, selbst mit einem krassen Außenseiter wie Südsudan. Zu einem gewissen Anteil liegt dies auch an Embiid.
Von Anfang an wurde Embiid von Head Coach Steve Kerr als Starter eingeplant (womöglich auch ein Faktor, der für die USA sprach), er ist der derzeit wertvollste NBA-Spieler des Teams - aber er ist auch der einzige, der ohne jegliche FIBA-Vorerfahrung zu diesen Spielen reiste. Die Vorbereitung zeigte dies, auch wenn es über die letzten Spiele besser wurde.
Das Spieltempo auf internationaler Bühne ist oft ein anderes als das, was Spieler aus der NBA kennen. Viele Teams (auch Deutschland) nutzen Lineups mit fünf wurffähigen Spielern, gegen die Embiids absinkende Defense zum Teil nicht das richtige Stilmittel ist, auch wenn er am Korb eine furchteinflößende Präsenz darstellt. Mehrere Teams dominierten gegen die USA in der Vorbereitung am offensiven Brett, was natürlich nicht nur an Embiid liegt, durch ihn bisher aber auch nicht verändert wurde.
Nicht zuletzt ist eine andere Art von Physis erlaubt. "Es ist genau das Gleiche", sagte Embiid zwar nach dem Spiel gegen Serbien, das wird er jedoch selbst kaum geglaubt haben. Embiid lebt in der NBA an der Freiwurflinie, nimmt seit Jahren 11 bis 12 Freiwürfe pro Spiel. In der Vorbereitung waren es nie mehr als 6.
Eine Szene gegen Serbien, in der er vergeblich versuchte, per Flop ein Foul zu schinden, ging kürzlich viral und untermauerte abermals, dass nicht nur viele Franzosen eine gewisse Genugtuung empfinden, wenn bei Embiid etwas nicht funktioniert.
Die gute Nachricht: Im Lauf der Vorbereitung verbesserte sich Embiid, der nicht in der besten Kondition zum Team reiste, sowohl vom Fitness- als auch vom spielerischen Komfortlevel her. Gegen Kanada foulte er noch nach 12 Minuten aus, gegen Deutschland erinnerte er weitaus mehr an die dominante Two-Way-Macht aus der NBA. Was er so auch erwartet hatte.
"Wer mir zuschaut, weiß, dass ich jede Saison ein paar Spiele brauche, um loszulegen, und hier ist es nichts anderes", sagte er nach der Partie gegen Deutschland. "Das ist der Grund, warum wir eine Preseason haben. Ich fühle mich wie ich selbst und werde weiter auf dem MVP-Level spielen, auf dem ich für die letzten fünf oder sechs Jahre gespielt habe."
Es ist interessant, dass Embiid die drei Buchstaben selbst ins Spiel brachte. Bisher sah er weder aus wie der MVP des Teams (das wäre LeBron James, über den er im Lauf der letzten Tage sagte, er sei „nicht mehr derselbe Spieler wie früher“) noch wie der beste Big Man (das wäre sein Backup Anthony Davis). Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Oder nicht? Vielleicht spielt es keine Rolle. Vor wenigen Tagen witzelte Embiid in Richtung seines Kumpels Jayson Tatum, dieser spiele in Boston für ein "Superteam", während die Sixers immer verlieren würden, wenn Embiid mal 5/20 aus dem Feld trifft. Bei Team USA ist das anders; an den meisten Tagen müsste Embiid nicht einmal auflaufen, damit dieses Team seine Spiele gewinnt.
(Gegen manche Gegner wäre es vielleicht sogar sportlich sinnvoller, nur auf Davis oder Bam Adebayo und deren Athletik und Speed zu setzen, auch wenn das nicht passieren wird.)
Vielleicht ist es ganz angenehm, diesen Druck mal nicht zu haben, den er in Philly, sobald die neue Saison beginnt und er mit seinem neuen Superstar-Teamkollegen Paul George auf dem Court steht, sofort spüren wird, vielleicht sogar noch mehr als in der Vergangenheit. Hier steht Embiid in der Bringschuld, ein besseres Sixers-Team hatte er noch nie an seiner Seite.
Vielleicht ist das aber auch ein Trugschluss. Ob fair oder nicht - Stand jetzt ist es relativ eindeutig, wem es am meisten angelastet würde, sollte Team USA nicht mit der Goldmedaille nach Hause fahren. Es gibt nur einen Spieler im Kader, der noch die die Conference Finals erreicht hat. Embiid hat irgendwie auch in Paris etwas zu beweisen.
Ole Frerks