17.09.2022, 00:29
Der Ex-Bundestrainer nennt zwei Trümpfe des Gegners im vierten Viertel
Dirk Bauermann (64) analysiert für den kicker die deutschen EM-Spiele. In seiner neunten Kolumne meint der frühere Bundestrainer, dass das packende Halbfinale gegen Spanien eigentlich keinen Verlierer verdient hatte, erklärt aber, warum die DBB-Auswahl am Ende den Kürzeren zog.
Als Allererstes muss man der deutschen Mannschaft, auch wenn sie verloren hat, wieder zu einer tollen Leistung gratulieren. Natürlich sind wir schlecht in die zweite Halbzeit gestartet und natürlich sah es im vierten Viertel etwas holprig aus - abgesehen von den letzten zwei Minuten. Aber man darf auf keinen Fall vergessen, gegen welche Qualität die Deutschen gespielt haben. Jeder der Spanier spielt mindestens in der heimischen ACB, der stärksten Liga Europas. Alle spielen international, entweder in der Euroleague oder einige in der NBA, und sie treten als extrem geschlossenes Kollektiv auf.
Sie spielen mit einer Geduld, trotz des zeitlichen Druckes der 24-Sekunden-Uhr, die man so sehr selten sieht. Oft waren nur noch acht, sechs oder vier Sekunden auf der Uhr, aber anstatt einen schlechten Wurf zu nehmen, hektisch zu werden und mit Kopf nach unten einen individuellen Abschluss anzustreben, schauen sie weiter nach der optimalen Lösung und haben sie auch immer wieder gefunden. Dagegen zu spielen, ist extrem schwierig. Insofern hat sich der etwas stärker ausgeprägte kollektive Spielansatz der Spanier gegen den etwas individueller orientierten der deutschen Mannschaft durchgesetzt. Eigentlich hatte dieses Spiel aus meiner Sicht keinen Verlierer verdient. Nochmal Hut ab vor dieser wieder tollen Leistung der deutschen Mannschaft.
Die Spanier haben im vierten Viertel zwei Dinge sehr gut gemacht und am Ende gewinnst du eben knappe Spiele im vierten Viertel und nie vorher. Sie haben zwei Verteidigungsformen gespielt, die die deutsche Mannschaft weder in diesem Spiel noch im gesamten Turnier zuvor gesehen hatte. Das war einmal eine 1-2-2-Ball-Raum-Verteidigung, die Prinzipien der Mann-Mann-Verteidigung nutzt, also eine so genannten Match-up-Zone. Die zweite Variante war eine Box-and-one gegen Dennis Schröder, also vier Mann in einer Zonen-Verteidigung und ein Spieler in enger Mannverteidigung an einem Schlüsselspieler des Gegners. Sie haben dadurch den bis dahin guten deutsche Rhythmus gestört und Dennis damit aus dem Spiel genommen.
Genau in der Phase sind die Spanier zurück ins Spiel gekommen und haben sich die Führung zurückerobert. Interessant war dabei ein Detail. Cheftrainer Sergio Scariolo setzt sich immer wieder hin, wenn seine Mannschaft verteidigt, während ein offenbar für die Defense mitverantwortlicher Assistenztrainer steht, coacht und Energie gibt. Das macht eigentlich sonst niemand, diese interessante Aufteilung hat sich bisher aber gelohnt.
Hinzukam der zweite Trumpf im vierten Viertel: Sie haben sich in den letzten zwei Minuten, wie im gesamten Spiel, keinen Fehlversuch von der Freiwurflinie geleistet. Dort haben sie die gleiche Nervenstärke wie in ihrem geduldigen Ballbesitzspiel demonstriert. Da wurden Wettkampfhärte, Erfahrung und mentale Stärke der Spanier sichtbar. Für Franz Wagner beispielsweise war es international das erste große Turnier. Da gegen die Spanier ein bisschen Lehrgeld zahlen zu müssen, gehört zum normalen Entwicklungsprozess einer auch noch jungen Mannschaft. Jetzt geht es darum, sich zu schütteln und mit einer tollen Leistung die Bronzemedaille zu holen. Das werden die Jungs hinbekommen.
Dirk Bauermann (64) hat mit der deutschen Nationalmannschaft um Dirk Nowitzki 2005 EM-Silber gewonnen und die DBB-Auswahl insgesamt gut acht Jahre gecoacht (WM 1994, 2003 bis 2011). Mit Leverkusen und Bamberg holte Bauermann als Trainer unter anderem neun Deutsche Meistertitel. Bis Anfang September 2022 war Bauermann, der Vorträge zu den Themen Erfolg, Motivation und Teambuilding hält, tunesischer Nationaltrainer und gewann mit dem Land 2021 die Afrikameisterschaft.