31.05.2023, 13:45
Denver könnte zum ersten Mal Meister werden
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte können die Denver Nuggets die Meisterschaft gewinnen - das haben sie zu einem großen Teil Nikola Jokic zu verdanken. Aber nicht nur.
Den dritten MVP-Titel in Folge hat Jokic in diesem Jahr nicht bekommen, da musste er Joel Embiid (Philadelphia 76ers) den Vortritt lassen, in den Play-offs ist es aber der Serbe, der im Finale steht, während sein Rivale auch wegen eigener schwacher Performance bereits raus ist. Jokic wiederum ist weit entfernt von schwacher Performance, das Gegenteil ist der Fall: Der 2,11-Meter-Hüne liefert Zahlen, wie es sie so in der NBA noch nie gab.
30 Punkte/17 Rebounds/17 Assists, 53/4/11, 29/13/12, 32/10/12, 34/21/14, 23/17/12, 24/6/8 und 30/14/13 - und das bei einer Wurfquote von beinahe 60 Prozent. Jokics Statistiken aus den vergangenen acht Play-off-Spielen, von denen Denver sechs gewann, sind beeindruckend - und dennoch wird er gerne als "langweilig" bezeichnet, weil es ihm an Athletik mangelt. Er ist weder besonders schnell noch neigt er zu spektakulären Dunks.
Kritik, die Nuggets-Coach Michael Malone nicht hören mag, wohl auch, weil nach Denver-Spielen in US-Medien lieber über die Gegner berichtet wurde als über die Nuggets. "Das Narrativ drehte sich nicht um Nikola und seine historische Leistung, das Narrativ drehte sich um die Lakers und deren Anpassungen", beklagte sich der 51-Jährige nach dem zweiten Sieg gegen L.A. und ergänzte: "Was der Mann tagtäglich vollbringt, ist unglaublich, gebt ihm endlich den Respekt, den er verdient."
Jokic wiederum findet es gut. "Ich weiß das zu schätzen und genieße es", sagte der Serbe der "Denver Post", als er auf die fehlende Wertschätzung gegenüber des Teams angesprochen wurde. Der 28-Jährige kann mit dem Medienrummel um seine Person ohnehin relativ wenig anfangen. Fehlende Wertschätzung ist zudem etwas, das Jokic schon sein halbes Leben verfolgt. Als Glücksfall entpuppte sich dabei jedoch, dass er einst in Serbien weder bei Roter Stern noch Partizan unterkam.
"Er war jung, physisch nicht gut in Form, brauchte Zeit", erinnerte sich sein Agent Misko Raznatovic in einem Podcast und betonte, dass man bei "großen Klubs keine Geduld mit ihm gehabt hätte". Bei Mega Basket aus dem beschaulichen Örtchen Sremska Mitrovica konnte er sich jedoch entwickeln, ehe er über den großen Teich sprang - und wieder unter dem Radar blieb.
Fast schon legendär ist die Geschichte, dass der übertragende Sender ESPN beim Draft 2014 in einen Werbesport für Taco Bell schaltete, als Jokic an Position 41 gepickt wurde. Mittlerweile dürfte sich die Fast-Food-Kette freuen, wenn darüber berichtet oder gar das entsprechende Video gezeigt wird - jedes Mal kostenlose Werbung.
Werbung in eigener Sache machte indes in den folgenden Jahren Jokic, revolutionierte dabei gar das Center-Spiel. Der Big Man, in den USA auch gerne mal "Joker" genannt, machte sich einen Ruf als womöglich bester Center-Passer der Geschichte.
Anfangs hatte er aber noch mit Gewichtsproblemen und schlechter Defense zu kämpfen - heutzutage spielt das nur noch eine untergeordnete Rolle, den Award als "Defensive Player of the Year" wird er allerdings wohl nie erhalten. Jokics größte Stärke ist sein Spielverständnis, seine Vielseitigkeit in der Offense. Er ist stark beim Dreier, aus dem High- und Low-Post, Freiwürfe kann er auch - und hat mit dem "Sombor Shuffle" sogar einen eigenen Wurf kreiert.
Das ist nicht alles, denn wenn er mal gedoppelt wird, dann sieht er nahezu jedes Mal den freien Mann und spielt den tödlichen Pass. Jokic macht jeden seiner Mitspieler besser, agiert quasi als Spielmacher der Nuggets - es war auch ein Assist, der dazu führte, dass er beim 113:111-Sieg in Spiel 4 der Western Conference Finals gegen die L.A. Lakers einen 56 Jahre alte Rekord von NBA-Legende Wilt Chamberlain übertraf - es war sein achtes Triple-Double in der Postseason; Chamberlain hatte 1966/67 sieben geschafft.
"Es gibt nur wenige Spieler, die das Spiel auf diese Art und Weise spielen können. Aufgrund seiner Fähigkeiten, Körbe zu erzielen, zu rebounden und zu werfen ist es immer schwer, ihn zu verteidigen. Er sieht Spielzüge, bevor sie passieren. Es gibt nur wenige Spieler wie ihn", sagte niemand Geringeres als LeBron James persönlich über den 28-Jährigen.
Wenig überraschend wurde Jokic zum MVP der Finals im Westen gewählt, doch das dürfte ihm nicht so wichtig sein. Von Individualauszeichnungen hält er ohnehin nicht viel, das hat er in den vergangenen Jahren immer wieder betont, auch gibt er offen zu, dass "Basketball nicht das Wichtigste in meinem Leben ist - und das wird es wohl nie sein. Um ehrlich zu sein, finde ich das gut, denn ich weiß, dass ich zu Hause Wichtigeres habe."
Der bodenständige Center meint damit seine Familie, die bei ihm stets Vorrang hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass Jokic keine Lust auf Basketball hat. Die hat er sehr wohl - und er kann sich in diesem Jahr den Traum von der Meisterschaft erfüllen. Dass dies nicht alleine geht, weiß auch der Big Man nur zu gut, denn im Basketball geht es darum, als Team erfolgreich zu sein - und fürwahr, das sind die Denver Nuggets.
Die Nuggets beendeten die Regular Season als Erster im Westen - und schalteten anschließend sowohl die hoch gehandelten Phoenix Suns um Kevin Durant und Devin Booker in sechs Spielen als auch anschließend die Lakers mit einem gesunden Anthony Davis und LeBron James per Sweep aus.
Wie haben die Nuggets das geschafft? Jokic ist der einzige All-Star im Team von Malone. Der 51-Jährige weiß aber einen weiteren Spieler in seinen Reihen, der in diesen Play-offs wie ein All-Star abliefert: Jamal Murray. Der Guard bringt es in den Play-offs im Schnitt auf bärenstarke 27,7 Punkte, 6,1 Assists und 5,5 Rebounds und sorgte vor allem dann für Entlastung, wenn Jokic mal schwächelte. Die vergangene Saison verpasste Murray verletzungsbedingt komplett, die Nuggets vermissten ihren zweitbesten Spieler schmerzlich. Nun ist der bewiesene Play-off-Performer wieder da.
Dazu kommen noch Spieler wie Aaron Gordon, der einst in Orlando mit dem Erwartungsdruck nicht so wirklich zurechtkam, nun aber in seiner Rolle als Scorer Nummer drei oder vier hinter Jokic und Murray brilliert - außerdem sorgt der 27-Jährige mit seinen regelmäßig eingestreuten Dunks für einen höheren Unterhaltungswert, von größerer Bedeutung dürften jedoch seine Defensivqualitäten sein, gerade wenn es darum geht, gegnerische Offensiv-Stars zu stoppen.
Mit Christian Braun verfügen die Nuggets zudem über einen weiteren exzellenten Verteidiger, der aber im Gegensatz zum Rest des Teams nicht so gut scort. Im Gegensatz zu Michael Porter Jr., der stets eine große Gefahr an der Dreierlinie darstellt. Aus der zweiten Reihe sind zudem noch Kentavious Caldwell-Pope (Small Forward) und Bruce Brown Jr. (Power Forward) wichtige Puzzleteile im Nuggets-Kollektiv, das vor allem eins ist: ein Kollektiv.
Unter dem Strich ist genau das dann auch Denvers großes Geheimnis: Im Gegensatz zu vielen anderen Teams, die auf ein, zwei oder drei Stars setzen und den Rest der Kaderplätze oft nur auffüllen, wurde in Denver ein Team zusammengestellt, das aufeinander abgestimmt ist und sich sehr gut ergänzt. Ob das am Ende zum ersten Meistertitel der Franchise-Geschichte reichen wird, wird sich in den kommenden Tagen und Wochen in der Finals-Serie gegen die Miami Heat zeigen.
Dr. Vladimir Milutinovic