12.11.2024, 12:24
Vieles läuft in Cleveland derzeit zusammen
Die Cleveland Cavaliers haben die Saison mit zwölf Siegen am Stück eröffnet und sind damit einem illustren Kreis beigetreten. Warum ist das Team auf einmal so stark - und wo kann die Reise hingehen?
Einige Male wackelte der Streak bereits. Das war zweimal gegen Milwaukee der Fall, das galt gegen Brooklyn, als die Cavs im Back-to-Back nach ihrer Rekord-Gala gegen die Warriors müde wirkten und ein fettes Comeback im Schlussviertel hinlegen mussten. Das galt auch gegen Chicago, als sie im dritten Viertel mit 9 hinten lagen. Es machte jedoch nichts.
Zwölf Siege in Folge haben die Cavs nun zum Saisonstart geholt, das haben vor ihnen nur sieben Teams geschafft, zuletzt die 15/16er Warriors. Zu deren NBA-Rekord zum Start (24 Siege) ist es zwar noch ein ganzes Stück, schon jetzt haben die Cavs aber gezeigt, dass mit ihnen in einer derzeit taumelnden Eastern Conference zu rechnen ist, mehr denn je.
Der neue Head Coach Kenny Atkinson verweist gern auf die Kontinuität, die den Traumstart seines Teams beflügelt, und ein Faktor des Erfolgs ist sicherlich die Tatsache, dass große Teile des Kaders schon länger da sind. Und doch wirkt Cleveland bisweilen wie ein völlig anderes Team als in den Vorjahren. Was sind die Gründe dafür?
Einen kleinen Spielverderber-Einwand müssen wir uns erlauben. Wie so oft bei dominanten Streaks eines Teams spielt das Shooting eine Rolle, und zwar eine große: Cleveland nimmt zwar nur durchschnittlich viele Würfe von draußen, trifft aber sensationell - die aktuellen 41,4 % von draußen wären Ligabestwert und der drittbeste Wert aller Zeiten für ein Team (den NBA-Rekord halten die 96/97er Charlotte Hornets mit 42,8 %).
Besonders bemerkenswert ist das deshalb, weil Clevelands verlässlichster 3-and-D-Spieler Max Strus bisher gar nicht mitwirken kann - dafür trifft die gesamte Rotation, abgesehen von Georges Niang (einem guten Shooter!) und Evan Mobley, wenigstens 35 Prozent von draußen und teilweise deutlich drüber. Was mit dazu führt, dass Cleveland auch bei der effektiven Wurfquote Platz 1 in der NBA belegt (60,6 %), über 3 volle Prozentpunkte vor den zweitplatzierten Pacers.
Das drittbeste Offensiv-Rating der Liga-Geschichte stellt Cleveland derzeit ebenfalls. Sind wir ehrlich: Das ist wahrscheinlich nicht haltbar, über den Saisonverlauf werden sich Shooting-Zahlen normalisieren. Vielleicht ist das aber gar nicht so tragisch, wenn andere Dinge bestehen bleiben, die deutlich eher haltbar wirken.
Atkinson hat die Offense verändert, diversifiziert. Dass er über die letzten Jahre als Assistant Coach bei den Warriors arbeitete, ist durchaus erkennbar: Der Ball bewegt sich mehr und schneller als unter J.B. Bickerstaff, die Breite des Courts wird besser genutzt, selbst wenn noch immer oft zwei Non-Shooting-Bigs auf dem Court stehen. Cleveland schafft nicht zuletzt durch aggressives Cutting Platz, der noch im Vorjahr nicht da war.
Die Pace ist wesentlich höher als in den vergangenen Jahren - 2022/23 noch spielte Cleveland den langsamsten Ball der Liga, aktuell belegen sie Platz 8 und nutzen die tiefe Rotation sowie die jungen, athletischen Beine, die ihren Kader überwiegend formieren. Sie forcieren viele Turnover und laufen den Break, wann immer sich eine Chance dafür bietet.
Die hohe Transition-Frequenz ist indes nicht der einzige Grund, warum es offensiv auf einmal so viel besser funktioniert und man nicht mehr über das Problem stolpert, dass sich die Spieler im Halbfeld zum Teil gegenseitig auf den Füßen stehen. Clevelands Halfcourt-Offense ist aktuell die zweitbeste der NBA, was nicht zuletzt mit einem der Bigs zu tun hat.
Atkinson hatte vor der Saison versprochen, den Ball öfter in die Hände von Mobley zu legen. Das ist von Tag 1 an erkennbar: Der 23-Jährige spielt mit einer neuen Dringlichkeit und Aggression, geht bisweilen selbst nach eigenem Rebound oder Block Coast-to-Coast und ist auch im Halbfeld viel mehr in die Offense eingebunden.
Zum Teil bringt Mobley selbst den Ball nach vorne und läuft Pick&Rolls als Ballhandler, mit einer viel höheren Frequenz als noch unter Bickerstaff. Wenn er ein Mismatch hat, kann er sowohl vom Perimeter aus als auch vom Zonenrand isolieren. Er ist ein guter Passer, vor allem springt aber sein Fortschritt als Scorer ins Auge - selbst wenn sich beim Dreier nicht viel verändert hat, zeigt er bis dato den klar besten Basketball seiner Karriere und kann zu den (viel zu) frühen Kandidaten auf den Most Improved Player-Award gezählt werden.
18,1 Punkte, 8,8 Rebounds, 2,7 Assists und 2,7 Blocks legt Mobley derzeit auf, bei starker Quote (56,1 %) und der gewohnt elitären Verteidigung, die ihn 22/23 bereits zum Dritten in der DPOY-Wahl machte. Das Vertrauen, das ihm Cleveland über die Offseason per Rookie-Max-Vertrag (5 Jahre, mindestens 224 Mio. Dollar) aussprach, scheint sich auszuzahlen.
Ähnlich erfreulich ist die "Rückkehr" des Sorgenkinds unter den vier All-Star-Kalibern des Teams. Darius Garland hat sein Seuchenjahr 23/24 hinter sich und spielt derzeit ebenfalls den besten Ball seit seinem All-Star-Jahr 21/22, ist dabei sogar viel effizienter. Cleveland hatte seinen Spielwitz und seine Kreativität vermisst, aktuell ist es oft sogar er, der am Ende enger Spiele die wichtigen Entscheidungen trifft und wieder und wieder richtig liegt.
Garland trifft ebenfalls überragend von draußen (45,9 %), ähnlich wichtig wirkt aber sein Drive: Garland hat über die Saison bisher kaum einen Floater verworfen, auch am Korb kommt er immer wieder durch, obwohl er nahezu nie an die Freiwurflinie geschickt wird (1,8 Freebies pro Spiel - sehr zum Ärgernis der Cavaliers).
"Letztes Jahr bekam er einen Finger ins Auge, sein Kiefer wurde verdrahtet, in seiner Familie ist etwas passiert. Das ist das Leben", sagte Donovan Mitchell nach dem Bulls-Spiel. "Im Jahr davor war er stark, aber wir vergessen so schnell. Das pisst mich an und das freut mich, dass er jetzt Leute erinnern kann. Das, was wir jetzt sehen, das ist Darius Garland."
Mitchell profitiert dabei enorm von den größeren Rollen seiner beiden Nebenmänner. Nachdem der beste Spieler des Teams im Sommer selbst einen neuen Vertrag unterschrieb, schweben keine Fragen zu seiner Zukunft mehr herum und mehr denn je scheint er in seiner Rolle als Leader aufzugehen. Für ihn bedeutete das auch, individuell einen Schritt zurückzumachen.
Mitchell spielt aktuell die wenigsten Minuten seiner Karriere (30,6) und erzielt die wenigsten Punkte seit seinem Rookie-Jahr (23,7) - aber er tut das willentlich. Anders als im Vorjahr soll die Abhängigkeit und damit auch der Workload von Mitchell verringert werden, um ihn für die Playoffs frischzuhalten. Was einleuchtet, für das Team und für ihn selbst.
Atkinson nutzt zu diesem Zweck die ganze Tiefe seines Kaders. Cleveland hatte bisher einen sehr hektischen Spielplan (einige Teams hatten erst neun Spiele) und wirkte zuletzt einige Male müde. Atkinson setzte dann eben auch mal in knappen Spielen Mitchell oder auch Jarrett Allen auf die Bank und ließ beispielsweise den bisher unfassbar starken Ty Jerome sein Ding machen.
Der Kader bietet den Luxus, immer mindestens einen Star-Guard und einen elitären Big auf den Court zu schicken, und Atkinson lässt derzeit niemanden aus seiner Zehner-Rotation mehr als 30 Minuten spielen. "Er vertraut uns, eins bis 15", sagte Jerome. "Das ist ein Team. Über die Regular Season brauchst du einfach Tiefe."
Das bedeutet auch, dass die Minuten der besten Spieler wieder fleißig gestaggert werden. Die gemeinsamen Minuten wirken offensiv besser als im Vorjahr, natürlich wird aber vor allem die Kombination Mobley und Allen mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden, bis sie auch mal in den Playoffs funktioniert.
Das gilt insgesamt für die Cavaliers. Ein gutes Regular-Season-Team waren diese ja auch schon in den vergangenen Jahren - wenn auch nicht SO gut -, Enttäuschungen gab es hingegen in den Playoffs. Bis es damit wieder losgeht, vergeht noch viel Zeit, was auch den Cavs dabei helfen sollte, sich weiter zu rüsten. Fun Fact: Fünf der sieben Teams, die vor ihnen eine Saison mit zwölf Siegen eröffnet haben, erreichten am Ende die Finals.
Bis dahin ist es, wie gesagt, noch ein ziemlich weiter Weg. Für den Moment haben die Cavaliers ihre erste Etappe bravourös gemeistert. Eigentlich sogar die ersten zwölf.
Ole Frerks