20.08.2024, 13:00
Überraschungsteam der Vorsaison mit großen Zielen
Die NINERS Chemnitz waren eines der Überraschungsteams der vergangenen BBL-Saison. Der Aufstieg des Teams aus Sachsen ist eng mit Trainer Rodrigo Pastore verknüpft. Der Chemnitzer Geschäftsführer Steffen Herhold erklärt im Gespräch mit basketball-world.news, was Pastore auszeichnet, wie der Club mit Eckpfeilern des Teams verlängern konnte und wie die Zukunft in Chemnitz aussehen könnte.
Der FC Bayern München und Alba Berlin sind unbestritten die beiden Schwergewichte der BBL, von den Bayern und Berlin wird deswegen auch gerne als den "großen Bs" gesprochen. Immerhin sechs der vergangenen sieben Meisterschaften - mit fünf direkten Duellen in den Finals - sowie die vergangenen fünf Pokaltitel gingen auf ihr Konto. Doch kann man bei einem der beiden Clubs aktuell von einer Ära sprechen? Nach dem Abgang der spanischen Trainerlegende Aito aus Berlin vor drei Jahren und der Fluktuation auf dem Trainerstuhl in München eher weniger.
Dafür vielleicht bei einer Mannschaft, die 2019/20 noch in der zweiten Liga spielte und die sich nun anschickt, sich hinter jenen zwei großen Bs als dritte Kraft zu etablieren: die NINERS Chemnitz. Unter dem argentinischen Cheftrainer Rodrigo Pastore hat sich das Team aus Sachsen kontinuierlich weiterentwickelt, führte in der vergangenen Saison die BBL lange als Tabellenerster an, hätte es beinahe in die Endspielserie geschafft und feierte im FIBA Europe Cup den ersten großen Titel der Vereinsgeschichte.
Einen "Riesenglücksgriff" nennt der Chemnitzer Geschäftsführer Steffen Herhold im Gespräch mit basketball-world.news die Verpflichtung Pastores im Jahr 2015. Kein anderer Trainer in der BBL steht so lange ununterbrochen an der Seitenlinie eines Clubs. "Er ist die Garantie für sportliche Konstanz - das ist im Profisport Gold wert", führt Herhold aus.
Glücksgriffe landeten die Chemnitzer auch in dieser Offseason - als würden sie wie ein "großes B" agieren. Denn mit ausländischen Stützen wie Jeff Garrett (einer der vielseitigsten Big Men der Liga), DeAndre Lansdowne (einer der besten Anführer und Crunchtime-Akteure) und Aher Uguak (einer der besten Verteidiger) sowie einem deutschen Spieler im DBB-Dunstkreis wie Jonas Richter zu verlängern, das gelingt eigentlich nur den finanzstarken EuroLeague-Clubs. Wie das Chemnitz geglückt ist?
"Das hat auch mit der Entwicklung des Clubs und generell mit den Bedingungen wie unserem Trainingszentrum zu tun. Als Club sind wir durch die zwei Jahre Europa-Teilnahme gereift. Wir waren zudem in der Lage, etwas am Gehalt zu machen", nennt Herhold einige Gründe. "Und wir haben mit den Spielern schon sehr frühzeitig Gespräche über eine Vertragsverlängerung geführt." So haben die NINERS ihr Ziel erreicht "einen Kern und wichtige Spieler, die ein Anker sein können und wollen, zu halten." Bemerkenswert auch deshalb, weil sich die BBL in den vergangenen Jahren erneut als Sprungbrett-Liga gezeigt hat.
Wie Lansdowne hat auch Richter seinen Vertrag um gleich zwei Jahre verlängert. Im Oktober 2014 debütierte der damals 17-Jährige in der ProA für Chemnitz, es wird also seine elfte Saison im Profibereich bei den Niners sein. Warum Richter immer wieder in Chemnitz verlängert, diese Frage werde öfter gestellt, "selbst vom Spielerberater", schmunzelt Herhold und führt aus: "Jonas hat eine große Heimatverbundenheit. Als Siebenjähriger hat er hier angefangen, er ist mit dem Club mitgewachsen und hat die Reise, aus den Niederungen der zweiten Liga, mitgemacht." Man könnte hier Parallelen zu Per Günther ziehen, der 14 Jahre lang für ratiopharm ulm aufgelaufen ist, sich ebenfalls mit dem Club entwickelte und somit eines der wenigen Gesichter eines BBL-Clubs, ja, man könnte sagen, Franchise-Spieler gewesen ist.
Neben Richter auf dem Parkett sorgt Pastore neben dem Parkett für eine Identität, nach der jeder BBL-Club strebt. Unter dem Cheftrainer feierten die Chemnitzer 2020 den Aufstieg in die BBL, bereits im zweiten Jahr ging es für die Niners in die Playoffs. Blieben die Sachsen bei ihren ersten beiden Endrundenteilnahmen noch ohne Playoff-Sieg, machten sie in der vergangenen Saison den nächsten Schritt - und standen kurz davor, im Halbfinale Alba Berlin auszuschalten und in die Finals einzuziehen. Eine stetige Weiterentwicklung, die gut zu Pastores Philosophie passt.
"Er verfolgt das Prinzip des Kaizen", erzählt Herhold. Dabei handelt es sich um eine Lebens- und Arbeitsphilosophie aus Japan, die eine Entwicklung Schritt für Schritt verfolgt. Schließlich sei Pastore "ein sehr prozessorientierter Mensch", wie Herhold ausführt. "Er saugt alles auf, lebt den Basketball und hängt nicht an einer Idee, die zur damaligen Zeit progressiv war. Er fordert sich immer selbst heraus, seinen Basketball weiterzuentwickeln." Als Beispiel führt Herhold an, wie Teams von Pastore früher als offensiv- statt defensivorientiert beschrieben wurden, "was heutzutage gar nicht zutrifft: In der vergangenen Saison haben über 40 Minuten intensiv verteidigt. Spieler, die in der Verteidigung eine 'Liability' sind, wird es bei uns wahrscheinlich nicht mehr geben."
Die vergangene Saison schlossen die Chemnitzer sogar als bestes Team beim Defensiv-Rating ab, in der BBL-Premierensaison rangierten die Niners hier noch im unteren Drittel. Dabei lässt Pastore auch unkonventionell agieren: Es gibt wenige Teams, die so viel switchen wie die Sachsen, Pastore schwimmt dabei auch gegen den Strom: mit Big Ball statt Small Ball. Dass über zwei Meter große Flügelspieler auf der Zwei agieren, ist bei Pastore nichts ungewöhnliches.
"John Patrick hat einmal gesagt, dass unser Team 'eigenartig' sei, weil wir keinen echten Point Guard und keinen echter Center hätten, sondern eine Bande von Combo-Guards und Forwards", erinnert sich Herhold. Mit diesen unkonventionellen Methoden avancierten die Chemnitzer in ihren Anfangsjahren in der BBL sogar zum Bayern-Schreck, vier der ersten fünf Pflichtspielduelle gingen an die Pastore-Truppe.
Offensiv haben sich die Chemnitzer unter Patore auch weiterentwickelt, indem sie sich stabilisiert haben. In den ersten beiden Jahren verloren sie prozentual noch am häufigsten den Ball, zuletzt rangieren sie hier immerhin im Mittelfeld. Klar: viele Pässe bergen das Risiko von vielen Ballverlusten, und das ist auch ein Ansatz Pastores: "Der Ball lädt sich auf, wenn er durch viele Hände geht", sagt Herhold. „An einem solch attraktiven Spiel haben auch die Spieler Spaß. Spieler, die ein Loch in den Boden dribbeln, wird es bei ihm nicht geben, das ist ein No-Go.
Dabei ist Pastore auch ein fordernder Trainer, der laut Herhold auch nicht vor Kritik an Stars zurückschreckt, wenn es angebracht ist. "Als Spieler benötigt man einen krassen Motor und eine intrinsische Motivation, sich große Ziele zu stecken - das macht seine Kultur aus", erklärt Herhold. "Wenn du das erfüllst, dann ist er der beste Trainer, den du haben kannst, weil du dich weiterentwickelst. Das prominenteste Beispiel ist Kevin Yebo, der sich vom gefallenen Talent zum vielleicht besten deutschen BBL-Spieler entwickelt hat - das ist eine Cinderella-Story."
Der Aufstieg der Niners verlief rasant, mittlerweile sind die Chemnitzer finanziell gestärkt genug, womit man eher nicht (mehr) von einer Cinderella-Story sprechen vermag. Die Geschichte von den Sachsen und Pastore wird derweil sicherlich irgendwann enden, dem ist sich auch Herhold bewusst. Der Chemnitzer Geschäftsführer hat davor aber weniger Angst, sondern würde dies als Herausforderung betrachten: "Das ist auch ein Stück weit die Philosophie, die Rodrigo und ich teilen: diesen Club so weiterzuentwickeln, dass er eine gewisse Unabhängigkeit besitzt", erklärt Herhold. "Ich orientiere mich hierbei ein wenig an den Bayern-Fußballern: Die haben auch nie darüber nachgedacht, was nach der Ära Udo Lattek kommen wird, sondern da war unabhängig von einer Person immer ein Streben nach vorne." Was ist das sächsische Äquivalent zum bayerischen "Mia san mia"?
"Ich mag das persönlich sehr: diese Investition in Steine, in etwas Nachhaltiges, was uns alle überdauert", führt Herhold aus. So soll das Streben nach vorne mittelfristig auch eine neue Spielstätte nach Chemnitz bringen - diese Steine stoßen die Niners jetzt schon an. "Wenn wir ein Club sein wollen, der auch im Jahr 2030, 2032 eine Rolle spielt, dann braucht es diese Halle. Sie wird maßgeblich die wirtschaftliche Weiterentwicklung beeinflussen und sicherstellen. Ich nenne das immer den Endgegner", schneidet Herhold die Bedeutung jener Halle an. "Eine Kapazität unter 8.000 Zuschauern macht keinen Sinn. Die Halle soll in der Innenstadt liegen und ein Trainingszentrum beinhalten."
An den derzeitigen Trainingsbedingungen gibt es derweil nichts zu bemängeln, im Gegenteil: "Wir befinden uns hier im Ligavergleich in einer sehr guten Position", erklärt Herhold, der die als "Feel Good Club" benannte Trainingsstätte als "Quantensprung" zur damaligen Zeit in der ProA beschreibt.
Ein Streben nach vorne ist auch eine ligainterne Vorgabe, Ende 2022 verpflichteten sich die Clubs im Zuge der "Triple-Double-Strategie" in mehrfacher Hinsicht zu wachsen. So wird der Mindesetat von 3,5 Millionen Euro in der kommenden Saison auf 6,0 Millionen Euro zur Saison 2032/33 steigen. "Man kann darüber streiten, ob es ein Mindestbudget braucht oder nicht. Aber um es an unserem Standort festzumachen: Vorausgesetzt, die anderen Clubs entwickeln sich ähnlich, dann werden wir in zehn Jahren ein Budget von zehn Millionen Euro oder mehr benötigen, nur um unsere Wettbewerbsstellung zu halten", ordnet Herhold ein.
Der Chemnitzer Geschäftsführer erklärt derweil auch, wo sich die Niners noch verbessern müssen: "Was unsere Strukturarbeit betrifft, waren wir mal sehr weit, müssen aber mehr tun. Das ist natürlich nicht einfach: Für Profisport findest du viele, die sich begeistern können, für den Nachwuchsbereich und Breitensport aber weniger. Dabei sind diese Bereiche elementar wichtig." In der Gegenwart werden die Chemnitzer ungeachtet dessen weiter angreifen können. Zwar hatte man schon in der vergangenen Saison bemängeln können, die deutsche Rotation sei nicht tief genug, vor allem auf Grund der Doppelbelastung. Letztlich meisterte Pastore dies aber ganz gut.
Die vergangene Saison schlossen die Chemnitzer als Drittplatzierter ab. Sich kontinuierlich als dritte Kraft in der BBL zu etablieren, sei zwar kein intern gestecktes Ziel, doch der Anspruch an sich selbst widerspricht dem auch nicht, wenn Herhold das Fazit aus dem Gespräch zieht: "Wir wollen eine Organisation sein, die in der BBL immer in die Playoffs einzieht und die immer international spielt, idealerweise in der Basketball Champions League - dann befindest du dich schon im Kreis der Clubs hinter [Bayern und Berlin]."
Manuel Baraniak