04.07.2024, 16:24
Grizzlies-Star nicht in den Planungen von Team USA
Hundert Spieler kamen für das Team USA für Olympia in Paris in Frage. Nicht dabei: Ja Morant, vor kurzem noch die große Hoffnung der Liga. Diverse Eskapaden, eine 25-Spiele-Sperre und eine Schulter-OP später muss sich der Point Guard der Memphis Grizzlies das Vertrauen von Team und Liga neu erarbeiten. Es gibt positive Anhaltspunkte. Sportlich wie persönlich…
Sein Leben lang lernen zu wollen, behaupten viele, sei der Schlüssel zum Glück. Ja Morant, bald 25, hat also noch etwas Zeit. Gleichzeitig könnte er gerade rechtzeitig eine entscheidende Lektion gelernt haben.
"Es fühlt sich an, als sei ich noch nicht fertig, mich selbst kennenzulernen und neue Dinge zu lernen", sagte er im Dezember, kurz vor Ende einer 25-Spiele-Sperre. "Aber ich sehe definitiv, weshalb die Dinge, die passiert sind, passiert sind. Deshalb kann ich auch nicht sagen, dass ich bereue, was passiert ist. Es hat mich besser gemacht."
Gleichzeitig verhinderte "es" für den Moment, dass Morant weiter dort thront, wo Anthony Edwards während der Playoffs ankam. Eines der neuen Gesichter der NBA sollte er werden. Noch dazu eines, das in den USA geboren war.
Morant schien wie geschaffen zu sein für die Rolle. Sein Weg, zielstrebig, obwohl steinig. Wegen seiner schmächtige Statur musste er hart arbeiten, erhielt keine Angebote großer Colleges. In Murray State trug er den berühmten Chip auf der Schulter so eindrucksvoll spazieren, dass ihn die Memphis Grizzlies im Draft 2019 hinter Zion Williamson an Nummer zwei auswählten.
Dazu sein Spiel, voller Energie und Highlights, geprägt vom Bild des Kleinen, der sich furchtlos ins Terrain der ganz Großen vorwagt, um sie dort immer und immer wieder vorzuführen. Am Ring stoppen können Morant nur die allerwenigsten. Explosiv wie kaum ein anderer sprintet er Richtung Zone, baut Richtungswechsel, eventuell einen kurzen Zwischenstopp ein, um am Ring entweder akrobatisch im Fallen abzuschließen oder den Ball gleich gewaltsam durch die Reuse zu schmettern.
Morants Spiel folgt seinem eigenen Rhythmus. Mal zuckt sein Körper wild durch die Zone, mal entwischt er binnen Millisekunden dem Blickfeld seiner Gegenspieler. Keiner zieht explosiver und häufiger zum Korb als Morant. Keiner nimmt Bigs so gern aufs Poster, schließt spektakulärer, zudem hochprozentig ab - und das bei "nicht einmal" 1,90 Metern Körpergröße.
Dass es dabei nicht bei "leeren" Highlights blieb, dass Morant die Grizzlies vom Rande des Wahrnehmungsspektrums in den Kreis der Teams der Zukunft führte, tat sein Übriges. Morant war die Zukunft der Liga. Seine Mutter habe ihm einst gesagt, "dass er nicht schlechter als irgendjemand anderes" sei. Genau so spielt Morant Basketball. Ein Underdog, der auf dem Court auftritt, als gäbe es niemanden über ihm.
Morants Spiel erfordert ein maximales Maß an Vertrauen in die eigene Stärke. Auf dem Court balanciert er permanent auf dem schmalsten Grad zwischen unerschütterlichem Glauben an sich selbst und triefender Arroganz. Diese Persona trägt Morant 82 Spiele plus Playoffs spazieren. Nur schien er sie über die Jahre immer seltener auf dem Court zu lassen.
In diese Richtung zitieren die ESPN-Journalisten Tim McMahon und Baxter Holmes diverse Business-Owner aus Memphis. Zu Beginn seiner NBA-Karriere, so der Tenor, sei er zurückhaltend, höflich, bescheiden gewesen. Mittlerweile zögen viele Beschäftigte den Kopf ein, wenn Morant, seine Freunde und Familie das jeweilige Etablissement beträten.
Der lebenslange Lernprozess. Womöglich hatte er ob des schnellen Erfolges, Ruhmes und massenweise angeschwemmten Geldes kurzzeitig ausgesetzt. Werbeverträge kamen, die Bescheidenheit ging. Mehr noch. Berichte über Auseinandersetzungen in Malls, bei Highschool-Volleyball-Spielen von Morants Schwester, bei Pick-up Games zuhause häuften sich. Wegen eines Schlages gegen einen Highschool-Spieler bei eben jenem Pick-up-Game musste sich Morant sogar vor Gericht verantworten, konnte dort aber plausibel erklären, dass er aus Notwehr gehandelt hatte.
Pacers-Mitarbeiter berichteten zudem, eine verbale Auseinandersetzung während des Spiels zwischen beiden Teams habe sich so fortgesetzt, dass sie am Teambus plötzlich einen roten Lichtpunkt auf sich gerichtet sahen. Von einer Schusswaffe seien sie ausgegangen. Gekommen war der Strahl aus einem SUV. Mitfahrer: Ja Morant. Beweise, dass wirklich Waffen involviert waren, fand die NBA keine.
Morant und Waffen. Eine maximal schädliche Verbindung. Im März peppte Morant einen Instagram-Live-Auftritt in einem Stripclub in Denver mit einer Pistole auf. Grizzlies und Liga suspendierten ihn für insgesamt acht Spiele. Morant ließ sich in Florida beraten. Er wolle "lernen, anders mit Stress umzugehen", erzählte er während eines Interviews mit Jalen Rose im Anschluss. Zudem "verurteile ich jede Form von Gewalt und trage die volle Verantwortung für meine Handlungen."
Nicht zu wissen, sei nicht so tragisch, schrieb einst Platon. Nicht lernen zu wollen, das wiederum brächte erhebliche Schwierigkeiten. Morant dürfte Platon heute Recht geben. Statt des avisierten Lernprozesses folgte der 13. Mai 2023. Wenige Wochen zuvor war Memphis als Second-Seed im Westen in Runde eins an den Los Angeles Lakers gescheitert.
Nun, ein weiteres Instagram-Live. Jugendfreund Javonte Pack auf dem Fahrer-, Morant auf dem Beifahrersitz. Im Hintergrund nuschelt YoungBoy NBA durch den Wagen, einer von Morants Favoriten. Entsprechend textsicher hangeln sich die beiden durch die Zeilen. Bis Pack die Kamera auf Morant schwingt. In seiner Hand: erneut eine Pistole. Pack reißt die Kamera nach unten. Zu spät.
Morant machte den Wochen zuvor eingestandenen Fehler erneut. Erneut sichtbar für alle, die sich interessierten. 25 Spiele Sperre erhielt er, garniert mit klaren Worten von Commissioner Adam Silver. Morants verhalten sei "alarmierend und beunruhigend", mit Blick auf die Kinder, die zu ihm aufschauten, "rücksichtslos und verantwortungslos." Voraussetzung für eine Rückkehr auf den Court war daher ein Programm der Liga, mit dessen Hilfe er angehen sollte, was zu seinem wiederholt "destruktiven Verhalten geführt hatte."
An seine jungen Fans wandte sich Morant dann auch in einem eigenen Statement. Er entschuldigte sich, als Vorbild gescheitert zu sein. "Ich verspreche, ich werde mich bessern." Den Grizzlies genügte das nicht. General Manager Zach Kleiman stellte sogar klar, dass Worte an dieser Stelle "nichts mehr bedeuten, bis er sie auch umsetzt. Worte könnten mir nicht egaler sein. Ja muss es beweisen."
Die Sperre selbst beschrieb Kleiman als angemessen. Der "größte Star, den wir seit Elvis hatten", wie Kolumnist Geoff Calkins Morant einmal bezeichnete, hatte eine Linie überschritten, die ihm seine Superstar-Immunität entzog. Nun musste er sich beweisen - doch weshalb eigentlich?
Rund um all die Pistolen-Videos und Auseinandersetzungen mehrten sich die Fragen nach dem Grund. Immerhin war Morant behütet bei seinen Eltern aufgewachsen. Noch dazu im ländlichen South Carolina. "Du bist nicht von der Straße", sagte NFL-Legende Shannon Sharpe, mit dem die Grizzlies und Morants Vater Tee Anfang 2023 während eines Spiels bei den Lakers aneinander geraten waren. Menschen, die dieses Leben lebten, gäben alles, um an Morants Stelle zu sein, fügte er an.
Wieso das alles? Eine berechtigte Frage.
Die Antwort kennt allein Morant. Ferndiagnosen verbieten sich - so stark der Antrieb auch sein mag, eines der größeren Mysterien der jüngeren NBA-Geschichte aufzulösen. Wieso setzt einer, der alles hat und in Zukunft noch mehr haben wird, alles aufs Spiel, um ein bestimmtes Bild abzugeben? Lösungen finden sich nur im Zwiegespräch.
Positiver Anhaltspunkt aus der Distanz: der 13. Mai 2023 liegt über ein Jahr zurück. Weitere Pistolen-Videos tauchten nicht auf. Sportlich knüpfte Morant nach abgesessener Sperre sogar direkt dort an, wo er vor all den Problemen aufgehört hatte. Mit 34 Punkte, 8 Assists und 6 Rebounds führte ein 24-Punkte-Comeback der Grizzlies in New Orleans an. Dazu kam der Gamewinner. Morant attackierte die Zone, als habe er niemals pausiert, als habe er seine Mitte wieder gefunden. Keine Überraschung.
"Basketball ist mein Ausweg", hatte er nach einer längeren Verletzungspause während der Saison 2022/23 gesagt. "Am besten fühle ich mich, wenn ich spiele." Leider spielte Morant diesmal nur neun Partien. Erst Ende Dezember war er zurückgekehrt. Anfang Januar riss er sich im Training ein Band in der Schulter. OP. Saisonaus.
Womit eine desaströse Saison der Grizzlies ihren Höhepunkt fand. Hatte Memphis in den Jahren zuvor Zeit ohne seinen Superstar noch souverän überbrückt, klappte diesmal nahezu nichts. Bei Morants Rückkehr betrug der Abstand auf das Play-in bereits mehrere Spiele. Mit der neuerlichen Verletzung ging alles dahin. Denn Morant war nicht allein. Desmond Bane. Jaren Jackson Jr. Marcus Smart. Der mittlerweile nach Houston getradete Steven Adams. Eigentlich die gesamte Rotation verpasste im Saisonverlauf Wochen oder sogar Monate.
Zwischenzeitlich schickte Memphis eine bessere G-League-Auswahl aufs Parkett - und fand so vielleicht den hinter dem großen Fluch versteckten Segen. GG Jackson und Vince Williams nutzten die Zeit, um sich einen festen Vertrag bei den Grizzlies zu erspielen. Beide wirken wie solide Rotationsspieler - und das auf dem Flügel, wo Memphis aus Tradition Tiefe fehlt.
Hinzu kam ein Lottery-Pick, den die Grizzlies für Zach Eady, einen echten Hünen, verwendeten, der perspektivisch neben Jackson Jr. spielen, ihm so mehr defensive Freiräume schenken könnte. Gleichzeitig waren die Grizzlies, der Contender in Lauerstellung, für den Moment zu den Grizzlies, dem Lottery-Team mit unsicherer Zukunft, mutiert.
Vieles kam zusammen. Ideen funktionierten nicht. Spieler nahmen noch nicht die erhoffte Entwicklung. Dazu ein Verletzungspech, das selbst den in den vergangenen Playoffs arg gebeutelten New York Knicks Mitleidstränen in die Augen triebe.
Und eben Morant. Wie so oft in der NBA: Geht es dem Superstar gut, geht es dem Team gut. Über rund ein Jahr ging bei Morant vieles in die falsche Richtung. Er traf Entscheidungen, die er so heute vielleicht nicht mehr treffen würde. So falsch sie waren, Raum, Besserung zu beweisen, müssen wir ihm lassen. Mit knapp 25 haben schließlich die wenigsten ausgelernt.
Zumal Morant die Sperre offenbar die Augen geöffnet hat. Die Ereignisse, sagte er kurz vor seinem Comeback im Dezember, "gaben mir auf eine Weise eine neue Sicht auf das Leben, wie ich meine Tage verbringe, wie ich mich verhalte." Er wolle "einfach dankbar sein, dass ich noch hier und in der Position bin, in der ich bin."
Jung ganz oben, nahezu unendlich reich, die Zukunft einer der größten Sportligen des Planeten zu sein, baut Falltüren in den Lebensweg ein. Für eine gewisse Zeit ließ Morant kaum eine aus. Nun ist es ruhig geworden. Keine Eskapaden. Dafür Meldungen von einem Basketballcamp mit Kindern - und ersten Trainingseinheiten nach der Schulteroperation.
Eventuell liegt der Fokus ab Saisonstart wieder einzig und allein auf Ja Morant, dem vielleicht spektakulärsten Spieler der NBA. Vielleicht erspielen sich die Grizzlies wieder den Status eines der interessantesten jungen Teams der Liga. Spielerisch passen gerade Morant und seine Co-Stars Bane und Jackson Jr. weiter bestens zusammen.
Einer (Morant) attackiert permanent die Zone, der andere (Bane) schafft durch seinen Wurf Raum, kann mittlerweile aber auch für sich selbst kreieren. Der Dritte (Jackson Jr.), verfügt als Big Man über einen soliden Dreier (34,5 Prozent 3FG über die Karriere) und verteidigt dort, wo Morant Gegenspieler nicht vor sich halten kann, hält die komplette Defense zusammen. Raum für Verbesserungen via Trade bleibt ebenfalls.
Gesundheit ist natürlich ein entscheidender Faktor. Auch für Morant, der in der Vergangenheit immer wieder verletzt zusehen musste. Essenziell ist jedoch der Lernprozess. Ende Juni schrieb Morant bei "X": "Bis du gebrochen bist, weißt du nicht, woraus du gemacht bist. Es gibt dir die Gelegenheit, dich ganz neu wieder aufzubauen, nur stärker als je zuvor." Füllt Morant seine Worte mit Leben, hat er tatsächlich eine entscheidende Lektion mitgenommen und ist weiter bereit, zu lernen, findet Memphis bald womöglich tatsächlich den Schlüssel zum Glück.
Max Marbeiter