17.12.2024, 14:00
Trainer Mateo unter Druck
Ein gellendes Pfeifkonzert. Ein Coach, der zu Beginn der zweiten Halbzeit mit seinem zweiten technischen Foul aus der Halle fliegt. Das 83:92-Heimdebakel gegen Zalgiris Kaunas war gleichbedeutend mit der neunten Niederlage im 15. Spiel für Real Madrid in dieser EuroLeague-Spielzeit. Doch wie kam es zum Absturz der Königlichen? Die Wurzeln der Probleme liegen bereits womöglich in der Vorsaison.
In der gesamten Vorsaison verlor der spanische Rekordmeister nur siebenmal. Erst einmal gab es für Real mehr als elf Niederlagen, seit die EuroLeague mit der Saison 2016/17 das Ligaformat einführte.
In der Spielzeit 2023/24 startete Real mit 16 Siegen aus 17 Spielen in die EuroLeague-Saison, an deren Ende durch eine Finalniederlage gegen Panathinaikos der Vizetitel stand. Der Traumstart hing auch damit zusammen, dass es im Vergleich zur Saison 2022/23, in der Real die EuroLeague gewann, nur einen Neuzugang gab. Dieser war in Person von Facundo Campazzo ein Rückkehrer, der vor seinem NBA-Intermezzo bereits von 2017 bis 2020 eine der wichtigsten Säulen im Team war.
Schon die Rückrunde der abgelaufenen Saison verlief mit elf Siegen bei sechs Niederlagen und Platz fünf in der Rückrundentabelle nicht mehr reibungslos. Allerdings kann dieser Bilanz entgegengehalten werden, dass Real die Poleposition schon lange nicht mehr zu nehmen war. Mit Ausnahme des EL-Finales agierte die Mannschaft von Coach Chus Mateo in den wichtigsten Spielen konzentriert. Die EuroLeague-Playoffs gegen Baskonia sowie alle drei ACB-Playoff-Serien wurden per Sweep gewonnen. Auch das Pokalfinale gegen Barcelona und das EL-Halbfinale gegen Olympiakos Piräus gingen an Real.
Vor der laufenden Spielzeit folgte eine kleine Zäsur. Mit Rudy Fernández und Sergio Rodríguez beendeten zwei Klubikonen ihre Karrieren. In Person des Ex-Bambergers Fabien Causeur wurde ein weiterer Routinier nicht gehalten. Zudem verließ Back-up-Center Vincent Poirier Real gen Anadolu Efes Istanbul. Am schwersten wog der Abgang von Starting-Power-Forward Guerschon Yabusele, der erst nach den Olympischen Spielen in die NBA wechselte und für den Real bis heute keinen Ersatz verpflichtete.
Trotz dieser Abgänge erwarteten die wenigsten Fans und Medien den jüngsten Leistungseinbruch, denn mit Gabriel Deck, der Flügelachse aus Mario Hezonja und Dzanan Musa sowie der eingespielten Spielmacher-Center-Combo aus Campazzo und Walter 'Edy' Tavares blieben fünf der sechs besten Scorer in der spanischen Hauptstadt. Die jüngste Entwicklung vermittelt den Eindruck, dass die Teamstruktur ins Bröckeln geraten sein könnte - auch durch den Verlust der Legenden Fernández und Rodríguez, die in der Vorsaison nur noch 3,3 respektive 4,4 Punkte erzielten, aber punktuell (vor allem in den EL-Playoffs 2023) auch sportlich noch halfen und als über Jahre etablierte Führungsspieler voraussichtlich weiterhin großes Vertrauen und Ansehen bei den anderen Stars im Kader genossen.
Das größte Problem besteht darin, dass keiner der fünf Abgänge adäquat ersetzt werden konnte. Von den Neuzugängen ist Ex-Münchener Serge Ibaka der Topscorer mit 7,2 Punkten pro Spiel. Bei seinen letzten drei Einsätzen schwächelte der frühere NBA-Champion jedoch selbst mit nur 2,3 Punkten und 0,7 Rebounds. Mit den Rückkehrern Ibaka (2011 während des NBA-Lockouts schon kurz bei Real) und Garuba, der auch verletzungsbedingt erst auf drei Kurzeinsätze kam, wurden zwei der vier Neuverpflichtungen auf der Centerposition getätigt, auf der es hinter Tavares ohnehin wenige Minuten zu vergeben gab. Garuba wurde zudem teils auf der Vier als Yabusele-Ersatz eingesetzt. Allerdings muss der spanische Olympiateilnehmer mangels Wurf und Ballhandling auf dem Flügel kaum verteidigt werden.
Schwer wiegt, dass mit Xavier Rathan-Mayes und Andrés Feliz beide Neuverpflichtungen im Backcourt nicht in eine Rolle finden. Feliz, für Badalona einer der stärksten Guards des EuroCups, wurde wie Garuba von Verletzungspech heimgesucht und kam deshalb erst auf acht Kurzeinsätze in der EuroLeague. Allerdings konnte er sich auch noch nicht für mehr empfehlen. In 66 Einsatzminuten erzielte er elf Punkte, acht Assists bei sieben Ballverlusten sowie vier Treffer bei 15 Versuchen aus dem Feld.
Rathan-Mayes dagegen zeigte bereits ordentliche Ansätze als Scorer, kann sich bislang aber nicht das Vertrauen von Coach Mateo erspielen. Auch er kommt nur knapp auf mehr Assists (1,5) als Ballverluste (1,4). Gegen Bologna erzielte er am neunten Spieltag 17 Punkte in 22 Minuten. Im anschließenden Spiel gegen Efes waren es nur noch sechs Minuten. Per Günther konstatierte bei MagentaSport schon am ersten Spieltag, dass Rathan-Mayes den in den Vorjahren teamorientierten Königlichen mit seinen Einzelaktionen ein neues Gewand gebe. Bei Rathan-Mayes bleibt die Frage unbeantwortet, ob er das Niveau für Real Madrid mitbringt. Der Kanadier ist mit 30 Jahren erstmals auf EuroLeague-Niveau aktiv.
Auf den EL-Radar spielte er sich erst durch seine 25 Punkte, die er in der vergangenen Spielzeit im Schnitt auflegte für Krasnoyarsk, einem kleineren Klub in Russland, wo seit Kriegsbeginn nicht mehr viele Topspieler aktiv sind. Über seine Karriere hatte Rathan-Mayes teilweise den Ruf, zu Hitzköpfigkeit zu neigen. In Summe wurden im Backcourt für die EL-Urgesteine Rodríguez, Fernández und Causeur, die neben ihrer Erfahrung allesamt solide Werfer waren und im Fluss der Offensive agierten, mit Feliz und Rathan-Mayes zwei Spieler verpflichtet, die bei früheren Stationen regelmäßig viel und balldominant spielten, sich eher über den Zug zum Korb definierten, nie neben weiteren Stars wie Musa, Hezonja, Campazzo und Tavares agierten und sich obendrein zunächst in der EL akklimatisieren müssen.
Für Wirbel in den Medien sorgte Rathan-Mayes im November obendrein mit einem Post auf der Plattform X, in dem er schrieb: "Kontrolliere nur, was du kontrollieren kannst, und werde weiterhin jeden einzelnen Tag besser." Dies war nicht die einzige Wortmeldung eines Spielers, die für Irritation sorgte. Zu Saisonstart kritisierte Mario Hezonja Coach Mateo in einem Interview auf der spanischen Plattform Movistar: "Er wechselt uns weiter durch. Wir können keinen Rhythmus mit den neuen Spielern finden."
Die Integration der Neuzugänge ist bis heute das Kernproblem. Ferner hilft nicht, dass die Toptalente Hugo González (18 Jahre, 5:42 Minuten pro Spiel, Platz 13 im ESPN-Big-Board zum NBA-Draft 2025) und Eli Ndiaye (20 Jahre, 17:02 Minuten, 4,1 Punkte, 2,9 Rebounds) bislang nicht den nächsten Schritt vollziehen. Ndiaye zeigte in der Vorsaison ordentliche Ansätze in den zwölf EL-Spielen (zehn Siege), die Yabusele verpasste, lässt aber weiterhin Konstanz im Wurf und Physis in Korbnähe vermissen.
Aufgrund der fehlenden Konstanz der Bankspieler und der lückenhaften Rollenstruktur ist Real enorm abhängig von den fünf Leistungsträgern der Vorsaison, von denen Hezonja (vor der Saison) und Musa (vier EL-Spiele verpasst) zeitweise ausfielen und seitdem auch nicht ganz mit gewohnter Konstanz auftreten. Eine Statistik verdeutlicht vor allem die Abhängigkeit von Campazzo und Tavares: Laut dem Datendienst 3StepsBasket gewann Real die 291 Minuten, in denen die beiden gemeinsam auf dem Parkett standen, mit 115 Punkten Differenz. In der Zeit lief sowohl die Offensive als auch die Defensive auch Hochtouren. Die rund 319 Minuten ohne diese Achse verlor Real wiederum mit 120 Punkten Differenz.
Mateo veränderte seine zuvor sehr tiefe Rotation bereits ein Stück weit: In der Vorsaison spielte nur Campazzo (25:17) mehr als 24 Minuten pro Partie - in dieser Saison vier Spieler: Hezonja (28:12), Campazzo (28:00), Tavares (26:27), Deck (25:41). Vielleicht könnte der längst in der Kritik stehende Mateo die Rotation noch stärker verkürzen. Allerdings könnte dies den Spagat zwischen EL und ACB, der stärksten nationalen Liga Europas, erschweren.
Neben der mangelnden Rollenstruktur kann Chus Mateo, der 2022 das Erbe von Pablo Laso (von 2011 bis 2022 Cheftrainer) antrat und im ersten Jahr trotz Dauerkritik von Medien gleich die EL gewann, auch dafür kritisiert werden, dass es ihm nicht gelingt, seinem Starensemble mehr Intensität einzuimpfen. Schon in der Vorsaison war Real bei 'Hustle'-Statistiken durchwachsen unterwegs. In der laufenden Spielzeit gehören die Madrilenen zu den schwächsten Teams beim Offensiv-Rebounding und Forcieren von Ballverlusten, was in dieser Saison schwerer wiegt, da der offensive Fluss den Königlichen abhandenkam und für Stückwerk wich, bei dem sich immer mehr Frust ansammelt. Reals Spieler kassierten ligaweit die meisten technischen Fouls (neun). Gerade Campazzo hat seine Emotionen oft nicht im Griff.
Es bleibt abzuwarten, ob Real Madrid allein durch die weiterhin bestehende Top-Qualität in der Kaderspitze noch an Rhythmus gewinnt. Nach Meinung von Per Günther könnte ein neuer Coach die Knoten lösen. Es wäre bei Real der erste Trainerwechsel während einer laufenden Saison in diesem Jahrtausend abgesehen von Ettore Messina, der in der Saison 2010/11 allerdings von sich aus zurücktrat. Naheliegend wären auch Nachverpflichtungen, die Coach Mateo bereits im September gegenüber dem Portal BasketNews für einen späteren Zeitpunkt der Saison zur Notwendigkeit deklarierte. Jedoch ist es schwierig, im laufenden Wettbewerb Spieler zu finden, die auf EL-Niveau sofort helfen und sich sofort das Vertrauen eines über Jahre eingespielten Starkerns wie bei Real erspielen.
Eines steht fest: Stellt sich der Erfolg nicht kurzfristig ein und folgen weitere Auftritte wie zuletzt gegen Kaunas, läuft es darauf hinaus, dass der Tabellendreizehnte erstmals seit 2012 die EL-Playoffs verpasst.
Lukas Feldhaus