29.11.2024, 08:23
Alba abgeschlagen
Gleich vier Mannschaften aus dem Süden stehen im BBL Power Ranking vorne. Während die Bayern ihre Spitzenposition halten, klettern Heidelberg und Würzburg nach oben. Auch Weißenfels überrascht, während Berlin bisher enttäuscht.
Als einziges Team der BBL wartet die BG Göttingen weiter auf den ersten Ligasieg, den Überraschungserfolg im Pokal gegen Würzburg konnten die Veilchen nicht konservieren, im Gegenteil: Es setzte bereits Pleiten mit 22, 28 (zweimal), 29 und 39 Punkten Differenz. Offensiv fehlt es an einem Organisator und Anführer (woran auch der nachverpflichtete Tra Holder wenig ändern konnte und was schon im Power Ranking vor Saisonstart als Schwachstelle ausgemacht wurde), defensiv an vielem und im Frontcourt an Tiefe.
Die Skyliners mögen auf dem vorletzten Platz im Power Ranking liegen, der Abstand auf den einzigen Abstiegsplatz ist dennoch relativ komfortabel. Mit Malik Parsons haben die Frankfurter eine athletische Ein-Mann-Offense (19,9 PPG, 58,1% FG), die aber sicherlich mehr Entlastung erhalten dürfte. Offensiv bekommt er diese nicht von der deutschen Rotation, aus der kein Spieler mehr als vier Zähler pro Partie auflegt - Tiefstwert in der BBL. Immerhin hat Headcoach Denis Wucherer eine funktionierende Verteidigung im Ligadurchschnitt installiert.
Den Status als einer der größten Wundertüten der Saison, der vor Saisonstart im Power Ranking aufgegriffen wurde, haben die Bamberger allein durch ihre Heimspielauftritte bestätigt: Auf eine 19-Punkte-Klatsche gegen Braunschweig folgte ein Pokal-Überraschungserfolg gegen Ulm, worauf eine Niederlage gegen Rostock, aber auch ein Sieg gegen Berlin anschlossen. Eigentlich hat die Gavel-Truppe das Potential, eine ausgeglichene Offensive zu installieren, schafft dies aber nicht effizient genug.
Bei keinem anderen BBL-Team ist der Abstand zwischen erst- und zweitbesten teaminternen Scorer so groß wie bei Hamburg: Brae Ivey erzielt mit durchschnittlich 19,3 Punkten ganze acht Zähler mehr als Jaizec Lottie. Um Ivey offensiv zu entlasten, haben die Towers mit Johnathan Stove den letztjährigen Weißenfelser Topscorer verpflichtet. Dabei täte Hamburg in der Offensive nicht nur ausgeglichenes Scoring, sondern eine bessere Spielübersicht gut - keine Mannschaft verliert prozentual häufiger den Ball.
Mit einer ausgeglichenen Bilanz von 4-4 stehen die Rostocker komfortabel da, im Power Ranking geht es dennoch zwei Plätze nach unten, weil die Erfolgserlebnisse - der Auftaktsieg in Weißenfels ausgeklammert - bisher gegen Kellerkinder eingefahren wurden. Der neue Headcoach Przemyslaw Frasunkiewicz hat dennoch eine gut funktionierende Starting Five mit klarer Rollenverteilung installiert, bei der Bryce Hamilton (18,6 PPG, 42,0% 3P) heraussticht.
Bei keinem Team ist die Diskrepanz zwischen guter Defensive und schlechter Offensive so eklatant wie bei Braunschweig: Das vierbeste Defensiv-Rating steht dem zweitschlechtesten Offensiv-Rating gegenüber. Eine Tendenz, die sich aus den vergangenen Jahren fortsetzt. Bei keinem anderen Team der Liga erzielt der teaminterne Topscorer weniger Zähler als bei Braunschweig (TJ Crockett Jr. mit 12,2 PPG). Talent ist im jungen Kader zweifellos vorhanden, das lässt vor allem das Big-Men-Duo Sananda Fru und Tre Mitchell immer wieder aufblitzen.
Die Oldenburger haben für den ersten Trainerwechsel der Saison gesorgt, unter dem bisherigen Headcoach Pedro Calles hatte die Vereinsführung Bedenken hinsichtlich der Entwicklung gehabt, in K.o.-Spielen sei man zu selten bereit genug gewesen. Calles' persönliche Playoff-Bilanz seit 2020/21 inklusive Play-Ins? 0-10. Mit Mladen Drijencic hat ein alter Bekannter übernommen, der als guter Motivator gilt. Doch kann er auch eine leicht unterdurchschnittliche Offensive auf Vordermann bringen, die mit Justin Jaworski einen Guard an der Spitze hat, der viel wirft, aber nicht so viel trifft?
Drei Crunchtime-Siege nacheinander hat Vechta eingefahren, mit einem Erfolg über Berlin als Krönung, dabei zitterte sich RASTA mitunter zu den Siegen. Das mag der mangelnden Erfahrung der ausländischen Rotation geschuldet sein, eine Entwicklung - um Tyger Campbell, Brandon Randolph und Jayden Gardner als Go-to-Trio - kann man aber schon jetzt beobachten. Eigentlich war die Truppe von Martin Schiller in jeder Partie im Spiel.
Nicht verwunderlich unter John Patrick: Die Ludwigsburger sind offensiv das ballsicherste Team und forcieren gleichzeitig beim Gegner prozentual die meisten Ballverluste. So hat sich die Patrick-Truppe auch dank starker Individualverteidiger mittlerweile an die Spitze beim Defensiv-Rating geschoben. Die Offensive mit einem dünnen Playbook hingegen ist eine Problemstelle, mit Justin Simon sollte ein starker Verteidiger und schwacher Sprungwerfer nicht die meisten Feldwürfe im Team nehmen.
Berlin mag das am schwierigsten einzuordnende Team sein, insofern die wirkliche Tabellenposition samt Bilanz von 3-5 hinsichtlich der Verletzungssorgen, die ligaweit ihresgleichen suchen, zu relativieren ist. Mit dem achtbesten Net-Rating geht es deshalb auch auf den achten Platz. Obwohl mit Matt Thomas einer der besten Schützen der Liga, der mehr Räume schaffen könnte, weiter fehlt, agiert Berlin offensiv enorm effizient, mit Martin Hermannsson und Trevion Williams haben die Albatrosse ein starkes Duo eines Ballhandlers und Playmaking-Big. Defensiv ist Berlin aber enorm anfällig.
Wölfe sind keine Löwen, Weißenfels ist das Gegenteil zu Braunschweig: Das beste Offensiv-Rating steht dem zweitschlechtesten Defensiv-Rating gegenüber. Dabei wollte man unter dem neuen Trainer Janis Gailitis genau dort ansetzen. Der Vereinsrekord von sechs Siegen in Serie (Pokal eingeschlossen), mit dem Crunchtime-Erfolg über die Bayern als Highlight, fußt aber nunmal auf eine starke Offensive, bei der Scharfschütze Spencer Reaves (16,0 PPG, 48,0% 3P) ein MIP-Kandidat wäre, gäbe es diesen Award in der BBL. Es wäre aber überraschend, sollte der MBC sein hohes Offensivniveau halten können.
Headcoach Roel Moors hat es erneut geschafft, dass eine der potentesten Offensiven der Liga in Bonn aufläuft. Mit dem 1,95 Meter großen Phlandrous Fleming Jr. und dem 1,75 Meter kleinen Darius McGhee weiß Moors dabei ein starkes Komplementärduo auf der Eins im Kader - von welchem Center Thomas Kennedy in Pick-and-Rolls aber (noch) nicht profitieren mag. Mit Post-ups der Außenspieler lässt Moors auch unkonventionell agieren. Ein paar Neuzugänge haben derweil noch nicht Fuß gefasst.
Im Vergleich zur starken vergangenen Saison fehlen bei Chemnitz noch Nuancen. Die Switch-intensive Verteidigung wirkt nicht ganz so aggressiv, offensiv scheint der Abgang von wirklichen Einsern wie Wesley van Beck und Kaza Kajami-Keane doch etwas zu schmerzen, der 35-jährige DeAndre Lansdowne kann nicht alles richten. Dabei haben die Chemnitzer eigentlich in der Spitze ein tiefes Team, in dem viele Spieler übernehmen können. Die gute Platzierung im Power Ranking ist auch eine Wette auf Headcoach Rodrigo Pastore, bald noch mehr aus der Mannschaft herauszukitzeln.
Wenn die Heidelberger so weitermachen, gebührt ihnen der Titel als Überraschungsmannschaft der Saison. Die in der Offseason adressierten Baustellen hat die Führungsetage gemeistert, mit Osun Osunniyi hat man auf der Fünf einen starken Ringbeschützer, mit Michael Weathers und Bakary Dibba viel Athletik in den Kader geholt. Inmitten einer Offensive mit viel Ball- und Mannbewegung sticht Ryan Mikesell heraus, der sein Team zu Saisonbeginn bei Punkten, Rebounds und Assists anführte. Trainer Danny Jansson hat eine von Beginn an gut harmonierende Mannschaft geformt.
Mit zehn Spielern, die zwischen 5,8 und 13,1 Punkten pro Partie erzielen, haben die Ulmer eine der ausgeglichensten Mannschaften der Liga. Dabei stimmt die Mischung beim Scoring zwischen innen und außen. Die Wette auf den Nachwuchs, dank Guard-Talent Ben Saraf, scheint wieder mal aufzugehen. Schon früh in der Saison hatte das Team von Ty Harrelson mit Siegen über Playoff-Kaliber seinen Rhythmus gefunden. Der lange Auswärtstrip inklusive NBA-Auftritt hatte die Schwaben zwar kurzzeitig etwas aus der Bahne geworfen, dafür können sie auf ihre Heimstärke setzen.
Die Würzburger mögen das schlechteste Assist-Turnover-Verhältnis der Liga haben, doch Trainer Filipovski dürfte sich daran kaum stören, denn die Würzburger exerzieren mehr denn je seine Offensividee: Die Guards Jhivvan Jackson, Mike Davis Jr. und Mike Lewis II gehen voran, sprich: gehen immer wieder ins Eins-gegen-Eins. Das macht das Trio auch gut, während in der Verteidigung das Kollektiv stark auftritt. Die (auf dem Papier gute) deutsche Rotation bleibt bisher hinter den Erwartungen zurück, was aber auch bedeutet, dass sich Würzburg mindestens im oberen Tabellendrittel festsetzen könnte.
Selbst ohne die Eindrücke aus eine bis dato hervorragenden EuroLeague-Saison haben sich die Bayern auch national auf den ersten Platz des Power Rankings festgesetzt. Der neue Headcoach Gordon Herbert hat früh eine funktionierende Einheit geformt, die im Vergleich zur vergangenen Saison auch noch attraktiver spielt. Das hat unter anderem mit Nick Weiler-Babb, der im Spielaufbau mit einem bemerkenswerten Selbstverständnis auftritt, und Devin Booker, der eine effiziente Scoring-Option am Zonenrand ist, zu tun. Die verletzungsbedingt vakante Position auf der Drei wurde gut kompensiert, so ist die drängendste Frage: Wie managt Herbert im Saisonverlauf hinsichtlich Doppelbelastung seine BBL-Rotation?
Manuel Baraniak