vor 23 Stunden
Pacers-Star mit schwachem Saisonstart
Die ersten Monate der vergangenen Saison prägte Tyrese Haliburton maßgeblich. Nach überstandener Verletzung sollte es in dieser genauso weitergehen. Doch es ist kompliziert. Häufig mangelt es an Effizienz. Auch die Dominanz geht ab. Was könnte dahinter stecken?
Irgendwann würden wir wieder in der Normalität ankommen. Die Monate, in denen dieser Point Guard beinahe mühelos über das Parkett glitt, während er Dreier kurz nach Überqueren der Mittellinie nahm, gegnerischen Defenses mittels Blicken und blitzschnellen Bewegungen falsche Ideen in den Kopf setzte, Teamkollegen permanent einfachste Würfe servierte.
Diese Monate, in denen Reggie Miller uns alle zu Zeugen "der Geburt eines Superstars" machte, sie würden wiederkommen, sobald Tyrese Haliburton seine Hamstring-Verletzung der zweiten Saisonhälfte auskuriert hatte.
Immerhin hatte er während der Playoffs bereits angedeutet, dass er Spiele wieder übernehmen, dass er Defenses wieder manipulieren konnte. Sogar die Conference Finals erreichte er mit Indiana. Es folgte ein Olympia-Sommer ohne Einsatz, dafür mit Gold-Medaille.
Mittlerweile haben die Pacers und Haliburton elf Spiele gespielt. Kürzlich ging es gegen Orlando. Die Ausbeute: neun Punkte, 3/14 aus dem Feld, ein Rebound, dazu elf Assists und eine Niederlage. Es riecht nach Ausrutscher, setzt in Wahrheit jedoch ein Muster der ersten Saisonwochen fort. Zwei Spiele zuvor gelangen Haliburton in Charlotte sechs Punkte (2/11 FG, 0/4 3FG), in New Orleans waren es elf Punkte bei 2/8 aus dem Feld, der Madison Square Garden bekam ein 0-Punkte-Spiel. Insgesamt stehen durchschnittlich 16 Punkte, 39,1 Prozent FG und 39,1 Prozent 3FG auf dem Zettel.
Auf die Frage, ob er sich auf dem Court derzeit wie er selbst fühle, antwortete Haliburton nach Indianas Home-Opener gegen die Sixers mit einem schlichten "Nein". Als die Pacers den Champion aus Boston geschlagen hatten, sagte er: "Ja, momentan vergebe ich so viele Würfe wie noch nie zuvor. Da werde ich nicht lügen. Ich werfe einfach daneben. So viele Würfe habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht verpasst."
In solchen Fällen drängen sich schnell Fragen nach neuen Realitäten und Ursachen auf. Rick Carlisle machte kürzlich Andeutungen, Haliburton könnte sich im Sommer verletzt haben. Während seiner Zeit bei Team USA habe sein Point Guard nicht nur wenig gespielt, "er konnte auch nicht viel trainieren, da er sich während seiner Zeit dort verletzte", sagte Indianas Coach. Die ESPN-Reporter Tim Bontemps und Brian Windhorst zitierten einen anonymen NBA-Executive, der anmerkt, Haliburton spiele "dieses Jahr einfach nicht mit demselben Pop."
Erneut der Hamstring? Kevin O’Connor von Yahoo Sports beruft sich auf ligainterne Quellen, die nicht daran glauben. Vielmehr sei es der Rücken. "Während der Postseason hatte er Rückenkrämpfe", so O’Connor. "Auf der Bank trägt er immer noch ein Wärmepack. Mit Blick auf die Art, wie er gerade spielt, die abnehmende Effizienz, ergäbe das für mich Sinn, da mit dem Rücken kompliziert umzugehen ist."
Saison | Spiele | Minuten | Punkte | Assists | Rebounds | Steals | Blocks | Turnover | FG% | 3P% |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
2020-21 | 58 | 30.1 | 13.0 | 5.3 | 3.0 | 1.3 | 0.5 | 1.6 | 47.2 | 40.9 |
2021-22 | 77 | 35.0 | 15.3 | 8.2 | 4.0 | 1.7 | 0.6 | 2.6 | 47.3 | 41.4 |
2021-22 | 51 | 34.5 | 14.3 | 7.4 | 3.9 | 1.7 | 0.7 | 2.3 | 45.7 | 41.3 |
2021-22 | 26 | 36.1 | 17.5 | 9.6 | 4.3 | 1.8 | 0.6 | 3.2 | 50.2 | 41.6 |
2022-23 | 56 | 33.6 | 20.7 | 10.4 | 3.7 | 1.6 | 0.4 | 2.5 | 49.0 | 40.0 |
2023-24 | 69 | 32.2 | 20.1 | 10.9 | 3.9 | 1.2 | 0.7 | 2.3 | 47.7 | 36.4 |
2024-25 | 14 | 35.2 | 16.1 | 8.5 | 3.7 | 1.4 | 0.6 | 1.7 | 38.3 | 28.8 |
All das zeichnet ein Bild eines Spielers, der sich womöglich erst fit spielen muss - und der Eye-Test liefert vordergründig Bestätigung. Tatsächlich wirkt es, als habe Haliburton derzeit größere Schwierigkeiten, durch Bewegungen, Finten und Drives Raum zwischen sich und seine Gegenspieler zu bringen. Raum, den er beispielsweise für seinen Wurf bräuchte - oder um tief in die Zone vorzudringen. Die Bewegungen sind da. Derzeit erscheinen sie jedoch weniger pointiert. Haliburton tanzt, nur bringen seine Richtungswechsel gefühlt weniger Gegenspieler aus der Balance.
Das Auge suggeriert, dass Haliburton bislang noch ein bisschen lieber serviert, als selbst zuzuschlagen. Der Fokus liegt gefühlt auf dem Pass. Der Drive dient als Mittel zum Zweck des offenen Wurfs für Mitspieler, nicht des eigenen Abschlusses am Ring. So wirkt der Playmaker eventuell etwas zurückhaltender, weniger dominant.
Nun lässt sich bei persönlicher Wahrnehmung natürlich immer fragen, was Fakt ist und was eigene Vorstellung. Ebenso, wie sehr die im Rückspiegel noch auffälliger glänzende Vergangenheit den Blick auf die Gegenwart trübt? Oder wie kalte Statistiken die eigene Wahrnehmung färben?
Denn tatsächlich zieht Haliburton auch statistisch etwas seltener Richtung Zone (12,5 vs. 12,1 Drives). Eklatanter wird der Unterschied beim Blick auf die Abschlüsse am Ring. Ein explosiver Slasher war Haliburton nie. Dennoch nahm er laut Cleaning the Glass vergangene Saison 22 Prozent seiner Würfe am Ring. Derzeit sind es nur 14 Prozent. Dabei fallen sie in 71 Prozent der Fälle durch die Reuse.
Häufiger drückt Haliburton dafür aus der Mitteldistanz ab (35 vs. 30 Prozent bei 45 Prozent Trefferquote). Auch der Anteil an Dreiern kletterte leicht von 48 auf 51 Prozent. Schwierig dabei ist, dass nur gut ein Viertel seiner Distanzwürfe auch durch den Ring rutschen, worunter wiederum das True Shooting leidet (51,8 statt 60,5 Prozent).
Insgesamt scort Haliburton derzeit weniger effizient als noch vergangene Saison. Auf 100 Ballbesitze gerechnet begünstigte er damals 124,6 Punkte und stand laut Cleaning the Glass damit im 96. Percentil der Liga. In diesem Jahr sind es noch 107,7 (42. Percentil). Dass dem eine Verletzung zugrunde liegt, verneinte er übrigens persönlich. "Nein, mir geht es gut", antwortete der Playmaker, angesprochen auf mögliche physische Probleme als Ursache seines komplizierten Starts. So viel zur Spekulation.
Ob Probleme nun da sind oder nicht, Haliburton liefert definitiv auch Darbietungen, die verdächtig an diese Normalität aus dem Herbst 2023 erinnern. Den Knicks schenkte er im zweiten Aufeinandertreffen 35 Punkte ein (4/10 3FG), verteilte zusätzlich 14 Assists. Haliburton tanzte mit Karl-Anthony Towns und streichelte den Rainbow-Stepback über den Sevenfooter durch die Reuse. Er nahm Dreier auf einem Bein, brachte Jalen Brunson in Transition mit einem Tempowechsel für einfache zwei Punkte aus dem Konzept, zog Mikal Bridges durch gezielte Sidesteps das Balancefundament weg.
Gegen Dallas waren es 25 und zwölf. Insgesamt hatte Haliburton vor dem Spiel in Charlotte über sechs Spiele durchschnittliche 18,5 Punkte aufgelegt. Was ihn dabei regelmäßig begleitet, sind Timing und Präzision beim Pass. Haliburton mag derzeit nicht so tief in die Zone vordringen, seine Kickouts finden dennoch offene Schützen in der Ecke. Auch Pocketpässe nach dem Pick and Roll sitzen auf den Punkt. In seinen guten Spielen wirkt er gleichzeitig aktiver, bringt noch mehr Finesse ein, auch seine Bewegungen, um Gegenspieler aus dem Gleichgewicht zu bringen, erscheinen etwas klarer, schneller.
Gleichzeitig wird deutlich: Je explosiver Haliburton Richtung Zone kommt, desto mehr Verteidiger müssen aushelfen. Gegen die Knicks rotierte OG Anunoby immer wieder rüber. Das schuf Räume für Mitspieler, offene Würfe, mögliche sekundäre Drives. In schwächeren Spielen genügt ein Defender, um den Drive zu erschweren.
Es gibt Momente, in denen Haliburton ähnlich manipulativ auf gegnerische Defenses einwirkt wie vor einem Jahr. In anderen hält er sich viel abseits des Balls an der Dreierlinie auf. Was auch damit zusammenhängen kann, dass Indiana seit Bennedict Mathurins Rückkehr einen zusätzlichen Slasher hat. Haliburton müssen gegnerische Defenses auch abseits des Balls ernst nehmen. Gleichzeitig spielen die Pacers tatsächlich etwas langsamer, haben ihre Pace von 102,16 auf 99,14 heruntergefahren. Ob Haliburton Ursache oder Symptom ist, lässt sich schwer bestimmen. Wahrscheinlich verschwimmen die Grenzen.
Die Pacers spielten nie schnell, weil Haliburton maximal schnell rannte. Sie spielten vor allem schnell, weil er (fast) immer rannte. Derzeit drosselt er das Tempo minimal, wenngleich der Fokus immer noch darauf liegt, schnell in Transition zu kommen. Gern genommen ist außerdem der "Turner Turn": Haliburton zieht Richtung Zone, Miles Turner schleicht als Trailer hinterher. Auf halbem Weg dreht sich der Point Guard um und bedient seinen Center, der gern, häufig auch erfolgreich, von der Birne abdrückt.
Gleichzeitig wirkt es nicht, als machten Defense irgendetwas groß anders. Manches funktioniert schlicht noch nicht. Vor allem natürlich der Wurf. "Was ist die richtige Einstellung, wenn so etwas schief läuft", fragte Haliburton kürzlich selbst. "Es wäre einfach, in den Spiegel zu schauen und zu fragen, weshalb das jetzt ausgerechnet mir passiert. Ich bin in der Halle, nehme mehr Würfe. Ich mache mehr, trainiere härter, ich mache all das. Herausforderungen werden eben kommen. Ich werde Würfe daneben setzen. Dasselbe habe ich letzte Saison schon durchgemacht. Da war es eben mitten in der Saison."
Deshalb wolle er einfach selbstbewusst bleiben. "Ich werde nicht aufhören. Irgendwann werden sie wieder fallen. Das ist das Gesetz des Durchschnitts." Am Ende gäbe es ohne Regen keine Sonnentage, "und es wird auch nicht auf ewig regnen." Ähnlich sieht es sein Coach. "Er ist ein großartiger Spieler und es wird alles gut", sagt Carlisle.
Zweifel an Haliburtons maximaler Leistungsfähigkeit möchte niemand aufkommen lassen. Zurecht. Angesichts der höchst überschaubaren Stichprobe verbieten sich Urteile. Dass auf Spiele wie gegen die Knicks Leistungen wie in Orlando folgen, ist für den Moment nicht optimal, ebenso wenig zwingend wegweisend für die Zukunft. Haliburton ist noch nicht auf dem Niveau der Vorsaison. Vielleicht plagt ihn etwas. Vielleicht plagte ihn nichts, und es fehlt noch an Rhythmus. Womöglich tanzt er demnächst aber auch schon wieder freudig durch gegnerische Defenses und bringt damit die Normalität zurück, die wir vor kurzem noch als Selbstverständlichkeit betrachteten.
Max Marbeiter