11.11.2024, 11:00
"Ich finde es schön, immer wieder in einer neuen Crew zu pfeifen."
Gentian Cici (43) pfeift in der Basketball-Bundesliga (BBL) und der EuroLeague. Im Interview gibt der Profi-Referee zum "Tag des Schiedsrichters" auf unserem Schwesterportal handball-world einen Einblick in den Basketball und spricht mit den Handballern über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ...
Für Handball-Schiedsrichter, die immer mit einem festen Partner pfeifen, muss der Blick zum Basketball komisch sein, denn ihr habt ein anderes System …
Gentian Cici: Genau, wir sind nicht immer die gleiche Crew, sondern pfeifen jede Woche mit anderen Leuten zusammen. Das ist in der Bundesliga so und in Europa. Ich bin gerade in Italien und werde beim Spiel mit einem Schiedsrichter aus Polen und einem Schiedsrichter aus Spanien zusammenpfeifen.
Wie gelingt es, sich immer wieder auf eine neue Crew einzustellen?
Wir kennen die anderen Schiedsrichter, weil wir seit vielen Jahren immer wieder zusammen pfeifen, es ist also nicht neu für uns. Wir treffen uns mindestens zwei oder drei Stunden vorher auf einen Kaffee. Dieses Ritual mag ich und es ist sehr wichtig für mich.
Mein Ziel ist es, dass wir im Spiel auf dem Feld als Team arbeiten und dafür reden wir - nicht über Basketball, dafür haben wir anderthalb Stunden vor dem Spiel in der Kabine Zeit, sondern über unsere Familien oder unseren Beruf.
Es sind ja nicht alle Profis wie ich, viele haben einen normalen Beruf. Und wenn wir nach dem Spiel Zeit haben, gehen wir auch zusammen essen. So lernen wir uns kennen und können trotzdem immer im Team arbeiten.
Warum gibt es keine festen Schiedsrichter-Teams?
Das ist eine gute Frage, das weiß ich gar nicht (zuckt die Schultern). Das ist einfach seit vielen Jahren das System bei uns; früher mit zwei, jetzt mit drei Schiedsrichtern.
Macht es das nicht leichter, wenn man immer mit dem gleichen Team zusammenpfeifen würde? Das ist im Handball ja sehr wichtig.
Ich weiß gar nicht, was die Kollegen reden, wenn sie zu jedem Spiel zusammen fahren (lacht). Nein, ich verstehe es, aber das wäre für mich nicht einfach. Ich finde es schön, immer wieder in einer neuen Crew zu pfeifen. Wir sind Dienstleister. Die Leute kommen in die Halle, um das Spiel zu sehen, nicht uns. Das Spiel steht über uns, wir haben das Ziel, alles richtig zu pfeifen. Manchmal haben wir damit Glück, manchmal Pech; manchmal haben wir in schwierigen Spielen viel zu tun, manchmal sind es ruhige Nächte. Aber, und das ist immer so: Das Spiel steht über uns.
Was ist im Basketball die schwierigste Situation, die ihr auf dem Feld entscheiden müsst?
Basketball ist sehr dynamisch, du kannst in zwei Sekunden von einem Korb zum anderen kommen. Die für mich schwierigste Entscheidung ist Block oder Change, also Block oder Offensivfoul. Das passiert so schnell, da müssen wir sofort eine Entscheidung treffen. Wenn du siehst, dass jemand auf dem Boden liegt und kein Pfiff kommt, ist das nicht gut. Wir müssen mental bereit sein. Und es muss klar sein für uns Schiedsrichter, wer in dem Bereich die Zuständigkeit hat. Das ist manchmal auch schwierig.
Wie meinst du das?
Wir haben drei Positionen. Der Schiedsrichter unter dem Korb, an der Grundlinie heißt Lead, der Center ist auf der anderen Spielfeldseite auf Höhe der Freiwurflinie und der Trail steht hinter dem angreifenden Team. Das ist unser System. Jede Position hat eine bestimmte Zuständigkeit. Die Positionen wechseln im Spiel; es gibt eine Rotation. Wenn du ein Foul pfeifst und unter dem Korb bist, gehst du an den Tisch und der Trail übernimmt deinen Platz.
Alle drei Schiedsrichter sind gleichberechtigt. Manchmal gibt es eine Situation, wo der zuständige Schiedsrichter nicht pfeift. Wenn er ein schlimmes Foul verpasst, dürfen die anderen pfeifen. Wenn es gut für das Spiel ist, musst du da auch pfeifen, das ist unser Job (lacht). Das macht es manchmal aber auch schwierig.
Warum bist du damals Basketball-Schiedsrichter geworden?
Ich habe Basketball gespielt, als ich ein Junge war. Als ich 17 Jahre alt war, hatte ich einen Unfall und habe meinen Arm gebrochen. Ich habe dann im Training angefangen, zu pfeifen. Mein Vater war früher Basketball-Schiedsrichter, ich habe aber keinen Druck von ihm bekommen. Ich wollte das selbst. Ich habe dann erst Jugendteams gepfiffen und bei uns sagt man: Der Hunger kommt mit dem Essen. Ich habe meine Schritte in der Karriere nach oben gemacht und pfeife jetzt in der höchsten europäischen Liga, der EuroLeague, und in der deutschen Bundesliga. Das war ein langer Weg.
Bist du für die Bundesliga nach Deutschland gekommen?
Nein. Meine Frau ist 2019 nach Deutschland gekommen, für ihren Studienabschluss. Sie hat in Hamburg angefangen, aber dann kam die Corona-Zeit. Das war eine schlechte Zeit, alles war zu. Sie arbeitet jetzt in einer Grundschule in Hamburg.
Ich hatte bei der Fiba, dem Weltverband, schon einen Namen und habe dann beim DBB gefragt, ob ich in Deutschland pfeifen kann. Ich war zu der Zeit schon 15 Jahre internationaler Schiedsrichter, sie kannten mich und ich war voll ausgebildet. Ich bin dem DBB und der BBL sehr dankbar, dass sie mich akzeptiert haben. Ich gebe dieses Vertrauen mit dem Job zurück, den ich mache.
Hauptberufliche Schiedsrichter gibt es im Handball nicht. Wie läuft das im Basketball?
Im Basketball kann man das machen, wenn man in der EuroLeague pfeift. Das ist die zweithöchste Basketball-Liga der Welt nach der NBA, dort spielen die besten Mannschaften Europas wie Real Madrid oder Barcelona und türkische, französische und italienische Klubs. Aus Deutschland spielt Alba Berlin in der EuroLeague. Mit der BBL und der EuroLeague zusammen ist ein gutes Gehalt. Das ist aber auch nichts für immer, du kannst nicht bis 65 pfeifen.
Wie viele hauptberufliche Schiedsrichter gibt es?
Wir sind in Deutschland nicht so viele. Robert Lottermoser hat es aber zum Beispiel viele Jahre auch so gemacht. Die meisten Schiedsrichter haben ihren Hauptberuf und pfeifen am Wochenende in der Bundesliga. In Europa gibt es einige Schiedsrichter wie Robert oder mich. Wenn man EuroLeague und BBL pfeift, finde ich es schwierig, einen anderen Job zu machen, denn du musst jede Woche reisen. Das ist zu viel. Wenn ich mich entscheide, einen anderen Job anzunehmen, muss ich mich aus der EuroLeague verabschieden. Wir sind keine Roboter.
Wird es dir manchmal zu viel, dich nur mit dem Pfeifen zu beschäftigen?
Das Pfeifen ist nicht das Problem. Das Problem ist es, so viel unterwegs zu sein dafür. Meine Frau und meine Kinder sind okay damit, aber sie würden sich natürlich freuen, wenn ich weniger unterwegs wäre. Das gehört aber dazu, für mich ist das seit vielen Jahren so. Ich weiß nicht, wie lange noch, aber das ist jetzt erst einmal mein Weg. Ich kann aber verstehen, wenn man das nicht will.
Was würdest du nach der Schiedsrichter-Karriere gerne machen?
Ich würde gerne den jungen Schiedsrichtern helfen und Schiedsrichter-Coach werden. Das ist mein Ziel. Ich könnte aber auch als Buchhalter oder Steuerberater arbeiten, das habe ich studiert und in meinem Heimatland früher viele Jahre gemacht.
Was war für dich das Highlight in deiner Karriere?
Ich war bei der Weltmeisterschaft 2019 in China, das war das ganz große Highlight. Ich durfte dreimal - 2013, 2015 und 2017 - bei der Europameisterschaft pfeifen und habe viele U17- und U19-Weltmeisterschaften gemacht. Ich bin in meiner zehnten Saison in der EuroLeague.
Welcher Traum wäre noch offen?
Mein einziger Traum wäre, in der NBA zu pfeifen, aber das geht nicht (lacht). Meine andere Träume habe ich alle erfüllt. Die Olympischen Spiele habe ich nicht geschafft, aber da Fiba und EuroLeague seit 2016 getrennt sind, geht das auch nicht mehr. Das ist eine lange Geschichte, das brauchen wir jetzt drüber sprechen, aber wer in EuroLeague ist, kann nicht mehr in Fiba pfeifen. Olympia wäre ein Traum für jeden Schiedsrichter, aber es ist auch so okay.
Zum Abschluss: Was würdest du jungen Schiedsrichtern für einen Tipp geben?
Wenn du einen Traum hast, folge ihm! Ich habe das gemacht und das kannst du auch. Ich war ein Junge aus einem kleinen Land und ich habe sehr große Schritte in meinem Leben gemacht. Ich habe von ganz unten angefangen und ich habe meine Träume erfüllt. Ich habe in meiner Karriere so viel Spaß gehabt als internationaler Schiedsrichter, viele Länder besuchen dürfen, viele Leute und Kulturen kennengelernt. Bitte folge deinen Traum und gib nichts darauf, wenn jemand zu dir sagt, dass du es nicht schaffen kannst.
jun