10.09.2024, 12:31
Der Architekt der größten NBA-Dynastie
Wie Red Auerbach zu einer der wichtigsten Figuren der Basketball-Geschichte und einem ihrer größten Pioniere wurde, obwohl es ihm eigentlich immer nur um eine Sache ging. Über das komplizierte Vermächtnis des Architekten der Boston Celtics.
Dieser Artikel erschien im GOT NEXXT #10 - Arschlöcher. Dieses Magazin und auch weitere Ausgaben können im Webshop von GOT NEXXT erworben werden.
Die Liste an Adjektiven, die in der Geschichte seines Lebens in Bezug auf den größten Gewinner der NBA-Historie verwendet wurden, war schier endlos lang und längst nicht nur mit positiven Ausdrücken gefüllt. Für jeden Bewunderer hatte er das Zehnfache an Gegnern, mindestens. Viele liebten ihn, allerdings wohnten sie fast alle in einer bestimmten Metropolregion oder hatten mal für ihn gespielt. Mehr Leute hassten ihn und alles, was er repräsentierte.
Zumindest eins sagte ihm jedoch nie jemand nach: dass er subtil war.
Oh nein, Red Auerbach liebte seinen Status als furchteinflößendste Figur der besten Basketballliga der Welt. Er wusste, dass er der beste Coach war, der beste Manager, dass er mehr Erfolg hatte als alle anderen. Er wusste, dass seine Gegner nicht dahinterkamen, warum ausgerechnet er und seine Teams so unendlich viel Glück hatten. Er wusste, wie sehr es sie frustrierte.
Auerbach war seiner Konkurrenz überlegen - und das ließ er sie spüren, wieder und wieder. Er versteckte seine Arroganz nicht, im Gegenteil. Er war wie Max Cady in "Kap der Angst"; der Typ, der im Kino Zigarre rauchte und so laut und exzessiv lachte, dass ihn niemand ignorieren konnte. Im Wissen, dass niemand ihm etwas anhaben konnte.
Die Siegeszigarre war sein Mittel, um alle anderen zu quälen - am allerliebsten in Situationen, in denen Spiele eigentlich noch gar nicht entschieden waren. Auerbach wusste, wie wertvoll es war, in den Kopf seiner Konkurrenz zu kommen. Mehr als jeder andere schaffte er es dann auch, genau dort für lange Zeit zu bleiben.
Dass er gewinnen würde, schien unausweichlich und folgerichtig: Als Architekt von 16 Meisterschaften ist er bis heute unerreicht, womöglich wird es für immer so bleiben.
Das Kuriose daran ist, dass der Weg bis zu diesem Status keineswegs vorgezeichnet schien. Auerbach brannte zwar immer für den Basketball - in seinem Senior Year an der Highschool wurde er ins "Second Team All-Brooklyn" gewählt, was er später immer wieder hervorhob und worüber sich seine Spieler liebend gerne lustig machten -, musste jedoch einige Umwege bis zu seiner bekanntesten Station nehmen, zumal der professionelle Sport am Ende seiner College-Laufbahn noch in den Kinderschuhen steckte.
Auerbach war ein guter Spieler, hatte allerdings mit seinen 1,78 Meter eher Coach-Größe und war obendrein ein Asthmatiker. Entsprechend begann er schon als Student damit, parallel die St. Albans School zu coachen.
Es folgten je drei Jahre an der Roosevelt Highschool und bei der US Navy, bevor er seine ersten beiden Profi-Teams coachte; erst die Washington Capitols in der Basketball Association of America (BAA) und dann die Tri-Cities Blackhawks, für die er in der ersten NBA-Saison überhaupt (1949/50) an der Seitenlinie stand.
Zwischendurch verbrachte er noch einige Zeit als College-Schiedsrichter sowie als Assistant Coach bei den Duke Blue Devils, wo angenommen wurde, dass er eines Tages als Headcoach für den krebskranken Gerry Gerard übernehmen würde. Es kam anders … auch deshalb, weil Auerbach, wie er selbst später sagte, sich "schlecht dabei fühlte, auf Gerrys Tod zu warten".
Unterm Strich blieb Auerbach bei keiner Station mehr als drei Jahre. Ein wesentlicher Grund dafür war die Tatsache, dass ihm die freie Hand fehlte - die Capitols verließ er trotz vielversprechender Resultate, weil Teambesitzer Mike Uline nicht auf seine Neuaufbau-Pläne hören wollte. Bei den Blackhawks war schon nach einem Jahr Schluss, weil Teambesitzer Ben Kerner Auerbachs Lieblingsspieler John Mahnken ohne vorherige Absprache tradete.
Auerbach hatte eine klare Vorstellung davon, wie Basketball zu spielen war, welche Spieler er dafür brauchte, welcher Weg der richtige war - er schrieb im Lauf seines Lebens wortwörtlich mehrere Bücher darüber. Was er hingegen nie wollte, waren Kompromisse. Schon gar nicht wollte er ein Team verwalten, über das er nicht selbst die Entscheidungsgewalt hatte.
Seine Idealvorstellung war eine "Diktatur mit Mitgefühl", wie er seinen späteren Job mal gegenüber der "Sports Illustrated" beschrieb, mit ihm als beinahe allmächtigem Strippenzieher. Es war ein komischer Zufall, durch den er genau diesen Job überhaupt erst bekam.
Walter A. Brown ist so etwas wie der Sport-Pate der Stadt Boston und elementar für die Geschichte des Boston-Marathons, der Bruins und der Celtics - als "Executive" schaffte er es sowohl in die Hall of Fame des Eishockeys als auch des Basketballs, letzteres ein Jahr nach seinem Tod 1964.
Auf Basketball bezogen waren die Top 3 seiner größten Verdienste wohl die Gründung der Celtics im Jahr 1945, die Mitgründung der BAA und dann seine Rolle bei deren Verschmelzung mit der National Basketball League (NBL) zur NBA im Jahr 1949 - spätestens an vierter Stelle kam dann schon seine Selbsterkenntnis.
"Jungs, ich weiß nichts über Basketball", sagte Brown 1950 nach einer desolaten Debütsaison der Celtics in der NBA zu einigen ortsansässigen Sportreportern. "Wen würdet ihr mir als Coach empfehlen?"
Der Legende nach empfohlen sie Auerbach, der zu diesem Zeitpunkt gerade als athletischer Direktor eines Hotels in den New Yorker Catskills arbeitete, das als Zentrum einer lokalen Summer League fungierte. Celtics-Akteur Sonny Hertzberg, der schon in Washington unter ihm gespielt hatte, behauptete später, dass er Auerbach ebenfalls empfohlen hatte.
Brown und Auerbach telefonierten in jedem Fall. Sie realisierten, dass sie die Welt ähnlich sahen, dass sie an ähnliche Werte glaubten. Auerbach realisierte, dass Brown jemand war, der ihm tatsächlich die Zügel in die Hand geben würde. Es war eine einmalige Chance, die er sich nicht entgehen lassen konnte. Der Rest war, in diesem Fall wirklich, Geschichte.
Über vier Jahre ihrer Existenz hatten die Celtics nie eine ausgeglichene Bilanz erreicht, nie an den Playoffs teilgenommen. Unter Auerbach schafften sie das immer und gewannen mit ihm als Coach in 16 Jahren neun Meisterschaften. Als Manager setzte er diesen Erfolg fort, insgesamt war er an 16 Meisterschaften beteiligt - nur die Celtics-Titel 2008 und 2024 kamen ohne ihn zustande.
Nicht, dass es die Celtics zu diesem Zeitpunkt ohne ihn zwingend noch gegeben hätte - fast alles, was die Franchise erreicht hat und was sie bis heute ausmacht, ist auf ihn zurückzuführen. Auerbach prägte den US-Profibasketball wie nahezu niemand sonst, profitierte immer wieder davon, dass er oft wirklich mehr wusste als die anderen - und dass ihn Konventionen nicht interessierten.
Direkt mit seiner ersten Amtshandlung brachte Auerbach ganz Boston gegen sich auf, als er in der Draft erst Lokalheld Bob Cousy, der für Holy Cross gespielt hatte, verschmähte und dann auch noch Chuck Cooper zum ersten schwarzen Draftpick der Geschichte machte.
Es war ein Vorgeschmack auf vieles, was danach kommen sollte - etwa die Installation der ersten komplett schwarzen Starting Five oder des ersten schwarzen Coaches der NBA, eines gewissen William Felton Russell, was ebenfalls auf Auerbach zurückzufahren war.
Auerbach machte ausgerechnet die Celtics im notorisch rassistischen Boston für einige Jahre zur progressivsten Franchise der NBA und verschaffte ihnen damit einen massiven Wettbewerbsvorteil. Er tat das - so wie nahezu alles in seinem professionellen Leben - nicht aus Nettigkeit, sondern weil er sich richtigerweise etwas davon erhoffte.
"Arnold war mit Sicherheit kein großer Bürgerrechtler. Er war komplett eindimensional: Sein gesamtes Leben drehte sich darum zu gewinnen", sagte Cousy mal über ihn. Fairerweise betonte Auerbach selbst stets, dass er kein Bürgerrechtler war. Selbst wenn es indirekt geschah - geholfen hat er trotzdem.
Selbst die Moves, die nicht so gut waren, bissen Auerbach oft nicht in den Hintern. Cousy hielt er für einen überschätzten Schönspieler, weshalb er ihn nicht wollte. Für die Blackhawks wollte Cousy jedoch nicht spielen, die Chicago Stags gingen pleite - über Umwege fand der Point Guard am Ende eben doch seinen Weg nach Boston. Wo er Auerbach von sich überzeugte, das Spiel revolutionierte, 13-mal All Star und 1956/57 sogar MVP wurde.
Glück spielte eine große Rolle bei allem, was die Celtics unter Auerbach erreichen sollten. Nicht selten erzwang er dieses jedoch auf die eine oder andere Art und Weise.
Der komplette Artikel erschien im GOT NEXXT #10 - Arschlöcher. Dieses Magazin und auch weitere Ausgaben können im Webshop von GOT NEXXT erworben werden.
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