14.03.2025, 12:00
Spurs mit dem richtigen Pick
Stephon Castle spielt zum richtigen Zeitpunkt seinen bisher besten Basketball und scheint sich zum Favoriten auf den Rookie of the Year-Award in einer sehr überschaubaren Klasse gemausert zu haben. Macht ihn das zum künftigen Star? Vielleicht, aber eine Großbaustelle besteht nach wie vor.
Selbst die besten Rookies sind in der NBA letztendlich nur das: Rookies. Egal, ob sie sich inmitten der besten Phase ihrer jungen Karriere befinden, ob sie von den Fans schon verehrt werden - ihre Teamkollegen verehren sie in der Regel nicht. Die Veteranen sind vielmehr dazu da, sie in der Liga willkommen zu heißen.
Stephon Castle erlebte sein echtes Initiationsritual am Donnerstag, nach dem Sieg seines Teams über die Mavs, dem ersten nach zuvor drei Niederlagen in Folge. Bester Laune spazierte der 20-Jährige aus dem Locker Room, auf dem Weg zu seinem Auto, zu einem angenehmen Abend. Dumm nur: Die Kollegen hatten seine Räder abgeschraubt.
Ein Denkzettel, wie De’Aaron Fox grinsend erklärte. "Steph hat es verdient. Er erledigt überhaupt keine Rookie-Pflichten, das ist verrückt für mich. Er bringt keine Snacks zum Flugzeug mit, gar nichts." Wer weiß, ob dieser Stunt Castle dazu bringen wird, auch diesen "Makel" an seiner ersten Spielzeit noch auszumerzen.
Mit allem anderen dürfte das Team schon jetzt ziemlich zufrieden sein, Flugzeug-Snacks hin oder her.
Als Team und Franchise erleben die Spurs ein turbulentes Jahr, gelinde gesagt. Ein milder Schlaganfall sorgte dafür, dass Gregg Popovich sich schon Anfang November zurückziehen musste und noch mindestens bis Saisonende von Mitch Johnson vertreten wird.
Den nächsten Schritt schien San Antonio trotzdem zu machen, vor der Trade Deadline wurde dann auch noch nachgelegt, indem mit Fox ein zweiter All-Star neben Victor Wembanyama ins Team geholt wurde, für den Playoff-Push. Kurz darauf meldete sich jedoch Wemby für den Rest der Saison ab, wegen tiefer Venenthrombose in der Schulter.
Von wegen Playoff-Push; seit der All-Star-Pause haben die Spurs vier Siege bei acht Niederlagen geholt, der Play-In-Platz ist längst in weite Ferne gerutscht (26-37). Am Donnerstag zogen die Spurs auch Fox aus dem Verkehr, der sich am Finger operieren lassen soll. Spätestens jetzt wird bereits auf die nächste Saison geschielt, natürlich auch auf die Lottery, wo die Spurs voraussichtlich zweimal vertreten sein werden (mit dem Atlanta-Pick und ihrem eigenen).
Und aber eben auch auf Castle, der aus der vermeintlich "verlorenen" Phase der Saison einen Gewinn herausholt - und sich über die vergangenen Wochen wohl auch zum Favoriten auf den ROY-Award gemausert hat.
Seit der All-Star-Pause erzielt Castle 15,8 Punkte pro Spiel, eine üppige Steigerung zu den vorherigen 12,9 Zählern. Im März sind es bis dato sogar 20 Zähler, bei 50,5 Prozent aus dem Feld und 31,6 Prozent von der Dreierlinie - was erstmal nicht überragend klingt (und auch nicht ist), aber für Castle dennoch einen wichtigen Sprung repräsentiert.
Schon vor der Draft wurde der Wurf des früheren UConn Huskies kritisch beäugt, nachdem er am College nur 26,7 Prozent von draußen getroffen hatte. In der NBA sind es bisher 28,2 Prozent - er kommt also von weit unten, was den Distanzwurf betrifft. Entsprechend wäre es für die Spurs eine großartige Nachricht, wenn Castle sich aktuell nicht bloß in einem Hot Stretch befindet, sondern wenn sich sein Shooting tatsächlich langsam stabilisieren sollte.
Der Rest seines Spiels steht nämlich deutlich weniger infrage. In mehr als einer Hinsicht sieht er fast schon seit Saisonbeginn absolut wie ein wertvoller NBA-Spieler aus, der durchaus auch zum Eckpfeiler des jungen, dank Wemby voraussichtlich blitzartig aufstrebenden Spurs-Teams taugen könnte.
Monat | Spiele | MIN | PTS | FG% | 3P% | AST |
---|---|---|---|---|---|---|
Oktober | 5 | 20,8 | 5,6 | 30,3 | 10,0 | 3,0 |
November | 14 | 28,6 | 13,6 | 41,6 | 31,8 | 4,1 |
Dezember | 13 | 22,9 | 10,3 | 37,6 | 20,9 | 3,2 |
Januar | 12 | 27,0 | 14,9 | 43,1 | 28,8 | 3,6 |
Februar | 12 | 23,3 | 14,7 | 44,1 | 31,0 | 2,8 |
März | 7 | 28,9 | 20,0 | 50,5 | 31,6 | 4,3 |
Castle ist ein großartiger Athlet, was er nicht erst beim Slam Dunk Contest unter Beweis stellte (sein Tape aus In-Game-Dunks ist spektakulärer). Mit 1,98m ist er groß für einen Guard und kräftig gebaut, kann verschiedene Spielertypen auf dem Flügel checken und könnte defensiv über Jahre eine exzellente Point-of-Attack-Ergänzung zum Ringbeschützer Wemby sein.
Castle ist gut am Mann, hat aber auch ein Näschen für den Ball als Helper und gute Rebounding-Instinkte. Er liest das Spiel gut, was ihm defensiv wie auch offensiv hilft. Sein Passing Game blitzt regelmäßig durch, auch wenn er bei den Spurs oft mehr off-ball neben einem Creator wie Fox oder Chris Paul eingesetzt wird (möglich, dass sich das ohne Fox nun wieder ändert).
Dynamische, wuchtige Drives sind bis dato seine beste Fähigkeit im Halbfeld-Basketball. Mit acht Drives pro Spiel ist der nach Fox der zweitaktivste Spur, nimmt 42 Prozent seiner Abschlüsse am Ring, enorm viele für einen Guard (92. Perzentil). Er ist dort noch kein konstanter Finisher, es fehlt in den meisten Spurs-Lineups indes auch der Platz; stand Wemby mit auf dem Court, traf er bisher immerhin gute 67 Prozent seiner Rim-Attempts.
"Seine Athletik sticht heraus, und wie er das Spiel versteht", lobte Mavs-Coach Jason Kidd Castle. "Er hat auch einen der besten Mentoren in Chris Paul. Man sieht, dass er einen Rhythmus hat, dass er beginnt, das Spiel immer besser zu verstehen. Ich denke, er ist definitiv einer der besten Rookies in der Liga, wenn nicht Nummer eins."
Über die nächsten Jahre dürfte sich seine Rolle offensiv weiter herauskristallisieren, gerade neben Fox und Wemby, die lediglich fünfmal gemeinsam auflaufen konnten und sich selbst noch finden müssen. Denkbar wäre: Neben den beiden Stars wäre Castle ein sekundärer Playmaker, der bereits rotierende Defense mit seiner Dynamik von der Second Side attackieren kann. In Lineups ohne Fox könnte er mehr On-Ball spielen und die Offense verankern.
Diese Rollenprofile sind unterschiedlich, aber damit hat Castle schon in dieser Spielzeit viel Erfahrung gesammelt. "Man sieht all die Dinge, die wir defensiv, offensiv, am Ball, abseits des Balles, von der Bank, als Starter von ihm verlangt haben", sagt Johnson. "Ich weiß nicht, ob irgendjemand sonst so viele Rollen ausfüllen sollte. Und er hat in allen Bereichen zeitweise abgeliefert. Das ist vielleicht das beeindruckendste an ihm."
Dieses Chamäleon-hafte macht Castle perspektivisch zu einem sehr interessanten Baustein für die Spurs - es macht seine Entwicklung als Shooter indes auch umso wichtiger. Bleibt Castle ein Spieler, von dem abgesunken wird, limitiert das seine Möglichkeiten und seine Effektivität in jeder der möglichen verschiedenen Rollen.
Rund um das Two-Man-Game von Wemby und Fox, der selbst ein streaky Shooter ist, werden die Spurs Spacing brauchen. Bisher geht ihnen das fast komplett ab; Jeremy Sochan etwa ist ein Non-Shooter, der auch deshalb nicht mit Castle funktioniert (Lineups mit beiden Spielern haben ein Net-Rating von -8,8). Castle und Fox liegen bisher bei -12 - in einer kleinen Stichprobe und einer schwierigen Situation, klar, aber hier muss sich offensichtlich etwas verändern.
Die gute Nachricht: Produktiv genug für eine signifikante Rolle ist Castle schon jetzt, weil er so viele verschiedene All-Around-Fähigkeiten mitbringt. Der Wurf sieht nicht kaputt aus, der Trend war zuletzt positiv.
Macht er auf diesem Level weiter, hat er gute Karten auf den ROY-Award, selbst wenn das in diesem Jahrgang weniger aussagekräftig ist als in dem von Wemby (oder, fairerweise, in fast allen anderen Rookie-Klassen der Geschichte). Ein guter Nr.4-Pick für die Spurs ist er damit jetzt schon allemal. Einer mit einer großen Baustelle, aber auch mit dem Potenzial, auf Dauer der beste Spieler seines Jahrgangs zu werden.
Es wird spannend zu sehen, wie Castle auf dieser Spielzeit aufbaut. Er hat von hier an vor allem eine wesentliche Aufgabe, die darüber entscheiden wird, wie und in welcher Rolle er sich dauerhaft in der Liga behaupten wird. Neben den Snacks natürlich.
Ole Frerks