08.10.2024, 07:45
Ex-MVP wartet noch immer auf Teilnahme an den Conference Finals
Joel Embiid geht in die kommende Saison mit dem womöglich besten Sixers-Team, seitdem er für die Franchise aus Philadelphia spielt. Gute Teams waren es allerdings schon nahezu immer - trotzdem hat er es bisher nie über die zweite Playoff-Runde hinausgeschafft. Ein Blick zurück zeigt auf: Irgendetwas Komisches trug in jeder Saison dazu bei …
Nicht, dass Embiid für das Scheitern der Sixers keinerlei Verantwortung tragen würde - beim jüngsten Media Day ließ er selbst verlauten, dass er in Topform sei, was - gerade bei Saisonstart - bisher längst nicht immer der Fall war. Außerdem deutete er an, dass er in der Vergangenheit zu sehr damit beschäftigt war, individuelle Awards zu gewinnen. Das sei nun vorbei.
Embiid wird sich an diesen Worten messen lassen müssen. Er ist nun 30, gehört zu den dominantesten Regular-Season-Spielern seiner Ära, hat aber bisher definitiv zu wenig Team- und Playoff-Erfolg vorzuweisen, um zu den ganz Großen gezählt zu werden. Die neue Big Three mit Tyrese Maxey und Paul George gibt ihm eine neue Chance, aber auch weniger Entschuldigungen.
Wobei man das in Philadelphia über die vergangene Dekade irgendwie schon oft dachte. Seit Embiid 2014 gedraftet wurde, agierte kaum ein Team so aggressiv und wandlungshungrig, was immer wieder die Phantasie anregte, bisher aber nie zu Stabilität oder Konstanz führte. Von dem Team, mit dem Embiid 2016 in der NBA debütierte, ist außer ihm niemand mehr in Philly.
Vielleicht wird in diesem Jahr alles anders. Bevor es losgeht, blicken wir zurück auf eine Dekade gespickt mit Monster-Trades, großen Kragen, Burner-Accounts, Streiks, gescheiterten Draft-Picks und … nun, wir werden sehen.
Die Sixers befinden sich in Jahr zwei ihrer Tanking-Phase namens "The Process" und bekommen nach 19 Siegen im Vorjahr den Nr.3-Pick. Damit ziehen sie Embiid, der, wenn er gesund gewesen wäre, vermutlich nicht an 3 zu haben gewesen wäre. Ist er aber nicht: Embiid wird sechs Tage vor dem Draft am rechten Fuß operiert, später wird bekannt, dass er die gesamte Rookie-Saison verpasst. Philly gewinnt 18 Spiele.
In der Offseason beteiligt sich Philadelphia am Kevin-Love-Trade und schickt Thaddeus Young weg, womit bloß noch zwei Spieler im Kader stehen, die wenigstens drei NBA-Jahre auf dem Buckel haben. Embiids Debüt verzögert sich weiter: Ein Rückschlag bei der Reha erfordert im August eine weitere Operation, weshalb er am Ende die zweite Saison in Folge aussetzen muss.
Derweil bekommt Philly erneut den Nr.3-Pick und zieht damit Duke-Center Jahlil Okafor, der die Erwartungen trotz guter Zahlen im Rookie-Jahr nicht erfüllen kann und (Stand jetzt) im Mai 2021 sein letztes NBA-Spiel absolviert. Seine Zeit bei den Sixers endet schon früher, nach zweieinhalb Saisons hat die Franchise genug gesehen.
Die Saison ist indes noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Saisonübergreifend verliert Philly zeitweise 28 Spiele, geteilter NBA-Rekord (Detroit zog 23/24 in einer Saison gleich). Das stört die Liga mehr als die Sixers selbst: Auf Drängen der NBA hin wird im Dezember Jerry Colangelo als "Special Advisor" engagiert, der General Manager Sam Hinkie de facto von seinem Weg des ultra-konsequenten Tankings abbringen soll.
Philly gewinnt in der Saison bloß zehn Spiele, im Anschluss tritt Hinkie zurück - und erklärt sich via Rücktrittspamphlet mit 7.000 Worten. Vier Tage später wird Jerrys Sohn Bryan Colangelo als neuer President of Basketball Operations vorgestellt.
Das Blatt wendet sich, ein wenig. Die Sixers bekommen den Nr.1-Pick im Draft, mit dem sie einen Guard/Forward-Hybrid namens Ben Simmons ziehen - der allerdings, wie Embiid vor ihm, verletzungsbedingt sein komplettes erstes Jahr aussetzen muss. Embiid kann dafür nach zwei Jahren an der Seitenlinie endlich debütieren und ist so dominant unterwegs (20,2 Punkte, 7,8 Rebounds), dass er 23 Stimmen für den ersten Platz bei der Rookie of the Year-Wahl bekommt, obwohl er bloß 31 Spiele absolviert (Gewinner Malcolm Brodgon kommt auf 75 Spiele). Ein Meniskusriss beendet seine Spielzeit bereits Ende Januar. Philly gewinnt immerhin 28 Spiele.
Philadelphia darf noch einmal hoch draften, die Lottery beschert den Sixers den Nr.3-Pick. Ihr erklärter Wunschspieler ist jedoch ein Guard namens Markelle Fultz, und dafür reicht Position drei nicht - also schlagen Colangelo & Co. zu, als Danny Ainge ihnen den Nr.1-Pick anbietet, wofür sie Nr. 3 und einen 2019er Erstrundenpick nach Boston schicken. Philly draftet Fultz, die Lakers ziehen an Position zwei Lonzo Ball und Boston angelt sich an Drei Jayson Tatum.
Fultz wiederum macht über zwei Jahre 33 Spiele für die Sixers; eine mysteriöse Schulterverletzung nimmt ihm den Wurf und das Selbstvertrauen, während seiner zweiten Saison wird der Guard bereits nach Orlando getradet. Immerhin: Zurück kommt darin unter anderem der Pick, mit dem 2020 ein Teil der heutigen Big Three gedraftet wurde.
Eine Big Three mit Fultz gab es derweil nie, 2017 formieren Simmons und Embiid dafür ein formidables Duo. Embiid macht 63 Spiele und wird erstmals All-Star, Simmons angelt sich den Rookie of the Year-Award. Das Team gewinnt 52 Spiele, einmal sogar 16 in Folge (Franchise-Rekord!) und dann auch noch eine Playoff-Serie, obwohl Embiid in der Postseason mit einer Orbital-Fraktur am linken Auge spielen muss. In Runde zwei ist gegen die Celtics Endstation, Topscorer der Serie ist natürlich Tatum (23,6 PPG).
Draft | Pick | Spieler | Spiele für Sixers |
---|---|---|---|
2014 | 3 | Joel Embiid | 433 |
2014 | 12 | Dario Saric | 172 |
2015 | 3 | Jahlil Okafor | 105 |
2016 | 1 | Ben Simmons | 277 |
2017 | 1 | Markelle Fultz | 33 |
Im Anschluss an die beste Sixers-Saison seit der Allen-Iverson-Ära kehrt erneut Chaos bei der Franchise ein. Ein Artikel der Website The Ringer deutet an, dass Colangelo sogenannte Burner-Accounts auf Twitter unter anderem dafür nutzte, um anonym Kritik an Coaches sowie früheren und aktuellen Sixers-Spielern zu üben, darunter auch Embiid, der als "faul" und "egoistisch" bezeichnet wurde. Einer der anonymen Accounts wird auch dafür genutzt, Colangelos Vorliebe für recht große Hemdkragen zu verteidigen. Die Geschichte ist noch immer faszinierend.
Colangelos Frau übernimmt am Ende die Verantwortung, der Executive selbst ist folglich allerdings auch nicht mehr tragbar für die Franchise und wird vorerst von Head Coach Brett Brown ersetzt, ehe die Sixers im September - nach großen Teilen der Offseason - einen echten Nachfolger in Elton Brand verpflichten.
Den Draft muss aber noch Brown verantworten. An Position zehn sind die Sixers dran und picken zunächst den aus der Gegend stammenden Mikal Bridges, dessen Mutter für die Franchise arbeitet. Sie schicken ihn allerdings noch am Draft-Abend für Nr. 16 (Zhaire Smith) nach Phoenix, dessen NBA-Karriere 2020 nach insgesamt 13 Einsätzen vorbei sein wird. Später kommt heraus, dass die Besitzer Geld sparen wollten und Brown anwiesen, nach unten zu traden.
Mit Brand verändert sich die Strategie aber wieder, die Sixers treten aggressiv auf. Im November angelt er sich via Trade Jimmy Butler aus Minnesota, im Februar folgt dann auch noch ein Deal für Tobias Harris. Mit Simmons, Butler, J.J. Redick, Harris und Embiid träumt Philadelphia vom Titel: Es werden 51 Siege geholt, in Runde eins sind die Nets kein Problem. In der zweiten Runde schickt Kawhi Leonard in Game 7 einen der ikonischsten Game-Winner der NBA-Geschichte auf die Reise. Embiid kommt in der Serie grippegeschwächt nur auf 17,6 Punkte pro Spiel und trifft 37% aus dem Feld, dank Butler verlangen die Sixers dem späteren Meister Toronto trotzdem alles ab.
Die Sixers wollen den Ball mehr in die Hände von Simmons legen und sehen Butler dafür nicht als idealen Fit. Stattdessen investieren sie in Simmons (5 Jahre, 177 Mio. Dollar), Harris (5 Jahre, 180 Mio.) und den früheren Celtic Al Horford, der sie im Fall weiterer langer Ausfallzeiten Embiids schützen soll. Butler geht in einem Sign-and-Trade für Josh Richardson nach Miami.
Simmons‘ Entwicklung stagniert, Horford und Embiid harmonieren nie, Embiid macht überdies nur 51 Spiele in der von der Coronapandemie zerstückelten Saison. Philly läuft mit einer 43-30-Bilanz als Sechster im Osten ein und wird in der ersten Runde von den Celtics gesweept, wobei Simmons dem Team verletzungsbedingt nicht zur Verfügung steht.
Im Anschluss an die Saison wird Brett Brown entlassen und durch Doc Rivers ersetzt. Einen Monat später wird Daryl Morey als neuer President of Basketball Operations des Teams vorgestellt. Im Dezember traden die Sixers Horford nach Oklahoma City.
Die guten Nachrichten zuerst: An Position 21 draften die Sixers Tyrese Maxey. Embiid wird Zweiter im MVP-Rennen, obwohl er abermals nur 51 Spiele absolviert. Die Sixers angeln sich die beste Bilanz in der Eastern Conference. In der ersten Runde werden die Wizards aus dem Weg geräumt. Dann geht es wieder in ein siebtes Spiel der zweiten Runde.
Und hier endet die Simmons/Embiid-Partnerschaft. Philly verliert unnötigerweise gegen Atlanta, nicht zuletzt deshalb, weil Simmons spät im siebten Spiel einen offenen Dunk verweigert. Embiid und Rivers kritisieren den Australier danach öffentlich recht deutlich, woraufhin dieser einen Trade fordert und das kommende Training Camp verweigert.
Die Simmons-Posse zieht sich bis in den Februar 2022 hinein. Die Sixers brummen ihm Geldstrafen von angeblich über 19 Millionen Dollar auf, während Team und Spieler auf eine Lösung warten. Im Februar ist es dann so weit: Simmons wird für den in Brooklyn ähnlich unzufriedenen James Harden getradet.
In der Zwischenzeit spielt Embiid seine bis dahin beste Saison, absolviert 68 Spiele (Career-High), führt die Liga bei den Punkten an (30,6 PPG) und wird erneut Zweiter im MVP-Rennen. In Runde eins trifft er den ersten Playoff-Game-Winner seiner Laufbahn gegen Toronto und führt die Sixers trotz schmerzendem Daumen (der später operiert wird) zum Sieg über die Raptors.
Nach dem sechsten Spiel geben die Sixers bekannt, dass Embiid eine Gehirnerschütterung und eine Orbitalfraktur am rechten Auge erlitten hat; er verpasst die ersten beiden Spiele, Miami gewinnt in sechs. Butler macht sich danach darüber lustig, dass die Sixers ihm einst Harris vorgezogen hatten. Dabei ging es eigentlich um Simmons, aber der war ja schon nicht mehr da.
Gute Saison: 54 Siege, die meisten der Embiid-Ära. Der MVP-Award, die zweite Topscorer-Krone in Folge (33,1). Ein gutes Harden-Jahr, insbesondere vor der All-Star-Pause. Starke Fortschritte von Maxey, der nun etablierten dritten Scoring-Kraft des Teams. Sweep in Runde eins gegen die Nets mit Zuschauer Simmons, obwohl Embiid Spiel 4 mit Knieproblemen aussetzt.
Und dann das Wiedersehen mit Boston … Embiid verpasst auch hier das erste Spiel, Harden allerdings ist zur Stelle und "klaut" diesen Sieg mit 45 Punkten. Die Serie pendelt hin und her, in Game 6 hat Philadelphia zuhause die Chance, die Conference Finals perfekt zu machen. Stattdessen rettet eine späte Tatum-Explosion die Celtics, während die Sixers im vierten Viertel bloß 13 Punkte erzielen (Embiid hat 6 davon, Harden keinen).
In Game 7 geht dann gar nichts, Embiid (15) und Harden (9) enttäuschen beide auf ganzer Linie. "Der Ball hat mich nicht gefunden", erklärt Point Guard Harden im Anschluss. Es wird sein letztes Spiel im Dress der Sixers gewesen sein. Schluss ist auch für Rivers, der nach dem Kollaps durch Nick Nurse ersetzt wird.
Harden zieht in der Offseason seine Spieler-Option und fordert kurz darauf einen Trade - eigentlich rechnete er mit einem üppigen neuen Vertrag der Sixers. Dieser bleibt aus, was Harden so sehr verärgert, dass er während einer Promo-Tour in Asien Morey angreift: "Daryl Morey ist ein Lügner und ich werde nie mehr Teil einer Organisation sein, zu der er gehört."
Morey will zunächst die Wogen glätten, das ist jedoch aussichtlos. Die Sixers beginnen die Saison ohne den streikenden Harden, im November findet sich dann ein Trade mit den Clippers, der keinen Star, aber Rollenspieler-Tiefe zurückbringt. Philly startet trotzdem prächtig, Maxey wird zum Star und Embiid erzielt mehr als einen Punkt pro Spielminute. Bis er sich Ende Januar eine Meniskusverletzung am linken Knie zuzieht und zwei Monate lang zuschauen muss.
Die Sixers fallen zurück, schaffen es nach einem Play-In-Sieg über Miami aber in die Playoffs und können dort auch wieder auf Embiid zurückgreifen. Dieser leidet in Runde eins unter anderem an Migränen, eingeschränkter Sicht und einer Bell-Lähmung, spielt gegen die Knicks trotzdem die bisher beste Serie seiner Laufbahn (33 PPG, 10,8 RPG). Nach sechs Spielen ist Endstation.
Die Offseason läuft prächtig. Aus Team-Perspektive, aber auch für Embiid, der mit Team USA Gold bei Olympia gewinnt. "Ich habe endlich die Conference Finals erreicht und etwas gewonnen", scherzt er selbst beim Media Day. Außerdem sagt er, er habe über den Sommer "25 bis 30 Pfund" Gewicht verloren und gehe ohne irgendeine individuelle Agenda in die Saison.
Und: "Es ist sehr wichtig, dass wir mal ohne irgendwelche Negativität oder irgendwelchen externen Lärm in die Saison gehen", so Embiid - davon hatte Philadelphia über die letzten zehn Jahre wahrlich genug. Mal sehen, ob alle Beteiligten es diesmal tatsächlich hinbekommen, sich nicht wieder in irgendeiner Form selbst zu sabotieren.
Ole Frerks