06.12.2024, 09:29
Überraschend erfolgreicher Saisonstart für Clippers
Viele hatten die L.A. Clippers vor Saisonstart schon abgeschrieben, stattdessen ist das Team aktuell mittendrin im Playoff-Rennen der tiefen Western Conference (14-10). Ein Hauptgrund dafür ist ihre elitäre Defense - der andere die Rückkehr eines vermeintlichen Auslaufmodells. James Harden ist zurück in seiner Komfortzone …
Es gibt ein paar NBA-Gesetze, die in der laufenden Saison wohl gebrochen werden. Aktuell führt etwa nicht Stephen Curry die Liga bei den getroffenen Dreiern pro Spiel an, was er sonst seit über einer Dekade eigentlich immer tut, wenn er denn gesund ist. Drei Spieler stehen gerade vor ihm, bei den Gesamtzahlen sogar 13 Spieler.
Die Lakers wiederum sind in ihren Minuten mit LeBron James schlechter als ohne ihn (deutlich sogar: -23,1!!!), was zuvor über zwei volle Dekaden noch nie bei einem seiner Teams der Fall gewesen war. Das ist gewöhnungsbedürftig, sogar erschreckend.
Immerhin kann sich der geneigte Zuschauer noch auf Folgendes verlassen: Wer James Harden ins Zentrum seiner Offense stellt, wird auf dieser Seite des Feldes wenigstens solide aussehen. Er ist hier nicht mehr der größte Unterschiedsspieler der Liga, wie er es in Houston jahrelang war, einen großen Einfluss jedoch hat er auch noch in 2024.
Dieser Einfluss "reicht" - er ist der unangefochtene Motor eines Clippers-Teams, das mit 14-10 derzeit besser dasteht, als es irgendjemand vor der Saison prophezeit hatte. Das sich vor allem über die exzellente Defense definiert, aber auch über eine Rückkehr zum Harden-Ball, den es in diesem Ausmaß schon seit Jahren nicht mehr zu sehen gegeben hat.
Vor gut einem Jahr, kurz nach seinem Trade nach L.A., wurde Harden noch für die Aussage belächelt, er sei "kein Systemspieler, sondern das System." In der aktuellen Spielzeit liefert er (wieder einmal) anschauliche Beweise dafür. Das System ist nicht mehr allen anderen voraus wie in den Zeiten, als Harden die beste Offense der Liga verantwortete, tatsächlich ist die Clippers-Offense nicht einmal gut. In Hardens Minuten werden immerhin solide 113,9 Punkte pro 100 Ballbesitzen erzielt, ohne ihn ist es so düster, dass das Team ligaweit nur Platz 24 belegt.
Dieses System 3.0 ist aber offensichtlich ausreichend, für den Moment. Und alternativlos. Die Clippers haben fast all ihre offensive Starpower verloren - Paul George ist weg, Kawhi Leonard ein Dauerpatient. Aufgefüllt wurde der Kader in erster Linie mit Defensivspielern, die vorne von der Creation anderer abhängig sind. Beziehungsweise von der Creation eines anderen.
Die Clippers haben zwar noch andere fähige Scorer - Norman Powell (23,9 Punkte, 50,7% Dreier!) und Ivica Zubac (15 Punkte, 60,4% FG) spielen bisher ihre jeweils besten Saisons, kreieren aber nicht wirklich für andere. Diese Aufgabe fällt daher Harden zu, dessen Usage-Rate (29,9%) höher ist als in jedem Jahr seit seiner letzten vollständigen Rockets-Saison (19/20).
Spiele | Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG% | 3pT% | TOV |
---|---|---|---|---|---|---|---|
24 | 33,9 | 21,6 | 6,8 | 8,5 | 37,9 | 33,8 | 4,4 |
Seine Leistungen sind dabei bei weitem nicht perfekt - sein Scoring ist für seine Verhältnisse ineffizient, die True Shooting Percentage (55,6%) niedriger als in jedem Jahr seit seiner Rookie-Saison. "Meine Rolle hat sich verändert. Ich hatte diese Rolle seit vier oder fünf Jahren nicht mehr", erklärte Harden dazu kürzlich selbst. Er müsse sich noch wieder eingewöhnen.
Er ist zudem ein anderer Spieler als in Houston. Der Drive ist nicht mehr dynamisch wie früher, seit Jahren nimmt Harden nur noch wenige Abschlüsse am Ring und trifft sie schwach. Freiwürfe dagegen zieht er noch immer viele, was hilft - der Stepback-Dreier wiederum fällt an manchen Tagen exzellent und an anderen gar nicht.
Früher konnte man bei Harden in jedem Spiel 30 Punkte einplanen wie heutzutage bei Shai oder Luka - diese Zeiten sind vorbei. Sein Season-High aus dem Vorjahr (35) hat er zwar schon zweimal übertroffen, mit 39 und 43 Punkten, er bleibt aber auch regelmäßig unter 20, gegen Minnesota waren es am Mittwoch sogar nur 5 Punkte.
In diesem Spiel ging bei Harden nichts, und so hatte die Clippers-Offense nie eine Chance, zumal auch noch Powell fehlte. 50 Punkte erreichten sie nach drei Vierteln. Zu seinen Hochzeiten hat Harden diesen Wert regelmäßig im Alleingang übertroffen.
Regelmäßig tut er dennoch genug. "Ich will irgendwann effizienter sein und weniger Ballverluste haben", erklärte Harden. "Aber im Moment geht es nur darum, dass wir auf irgendeinem Weg Spiele gewinnen." Das funktioniert, irgendwie. Die Clippers ziehen Spiele oft durch ihre Defense in den Sumpf und hoffen darauf, dass Harden sie vorne oft genug dort herausziehen kann.
Dabei hilft, dass ihn gegnerische Defensiven immer noch fürchten, und er damit umzugehen weiß. Wie in alten Zeiten führt Harden die Liga bei den Isolation-Possessions an (zum ersten Mal seit 19/20) und erzielt daraus 8,3 Punkte pro Spiel, wenn auch bisher nicht mit der alten Effizienz (1,01 Punkte pro Play - es waren zur besten Zeit unfassbare 1,22).
Die Angst vor seinem Stepback-Jumper ist noch immer groß genug, dass Defensiven teilweise komplett überreagieren. Die Blazers etwa schickten am Dienstag zum Teil drei Verteidiger, was Harden sofort mit Assists oder Hockey-Assists bestrafte. Wenn er ins Dribbling geht, kommt er zwar seltener bis zum Korb durch, dafür nutzt er lieber als früher den Mitteldistanzwurf, was Peyton Watson unlängst am eigenen Leib erfuhr.
Harden hat nicht mehr alle offensiven Werkzeuge zu seiner Verfügung, wie es früher der Fall war. Er hat aber noch immer sehr viele. Er liest das Spiel noch immer auf einem sehr hohen Niveau, weiß, wie er seine zum Teil doch recht eindimensionalen Mitspieler in Szene setzen kann. Er ist mehr Game-Manager als früher, hat dabei aber noch immer regelmäßige Ausbrüche nach oben.
Trotz der niedrigen Effizienz und hohen Turnover-Rate ist sein Impact wieder mal eindeutig positiv. Advanced Stats wie Value Over Replacement Player (10) oder LEBRON (8) sehen ihn als Top-10-Spieler der laufenden Spielzeit - früher war das normal, über die letzten vier Saisons war Harden jedoch bloß zweimal All-Star und erreichte seit 19/20 kein All-NBA-Team mehr.
Aktuell würde er zumindest wieder in diese Konversation gehören - auch weil sein Wert für das Team über das hinausgeht, was der Boxscore zeigt. "Er trifft fast jede wichtige Entscheidung in ihrer Offense", erkannte Nuggets-Coach Michael Malone an. "Er weiß, wie er Jungs offen bekommt und wie er das Beste aus dem Team herausholt", sagte Powell.
Nebenbei hakt Harden Meilensteine ab. Seit kurzem belegt er Platz zwei auf der ewigen Dreierliste, nur hinter Curry. Bei den Karriere-Punkten belegt er Platz 17, bei den Assists Platz 14, überall (außer beim Dreier) kann er noch klettern. Das 43-Punkte-Spiel gegen Washington war das 100. Spiel mit 40+ Punkten in seiner Karriere, mehr hatten nur Wilt, Kobe und MJ.
An seinem All-Time Ranking oder dergleichen wird das bei den meisten Beobachtern nichts ändern. Was auch in Ordnung ist - Kritik an Harden bezog sich in der Regel ja ohnehin auf die Playoffs, wofür es gute Gründe gibt. Die Meilensteine verdeutlichen bloß einmal mehr, wie lange der 2018er MVP schon auf einem sehr hohen Level Offense für seine Teams produziert.
Wohin das alles führt, ist unklar. Nicht weit, wenn Kawhi nicht irgendwann zurückkehrt und dauerhaft wie der alte Kawhi aussieht, womit wohl kaum noch jemand ernsthaft rechnet. Harden sorgt in seiner jetzigen Version eher für ein solides Fundament als für die Upside, welche Teams in den Playoffs dann bräuchten.
Dass das P-Wort aktuell überhaupt benutzt werden kann, ist indes schon ein nicht zu verachtender Teilerfolg für Harden und für die Clippers, die vor der Saison von vielen in der Lottery erwartet wurden. Wie ein Team, das zum Saisonende einen Top-3-Pick nach Oklahoma City schicken muss (als Spätfolge des Paul-George-Trades), sehen sie gerade nicht aus.
Natürlich löst das nicht die Langzeit-Probleme, die nach dem Scheitern der "Big-3-Ära" in Los Angeles bestehen. Die aktuelle Saison ist eine des Übergangs, in welcher Form auch immer. Zumindest ein Teil der alten Big 3 liefert dabei noch verlässlich ab und hilft der Franchise dabei, ihr Gesicht zu wahren, während sie sich über den Langzeit-Kurs, das große Ganze, Gedanken macht.
Eigentlich sollte es auch keine Überraschung sein, um welchen der drei es sich dabei handelt. Es ist ja bei weitem nicht das erste Mal, dass das System Harden funktioniert. Irgendwie.
Ole Frerks