23.10.2024, 13:44
"Dann hatten sie Wut im Bauch"
Daniel Theis geht in seine achte NBA-Saison, die New Orleans Pelicans sind sein sechstes Team. Im Interview mit basketball-world.news spricht der Nationalspieler über die Tücken des NBA-Lebens, seine Ziele mit New Orleans und äußert sich zu seiner Zukunft im DBB-Team.
Dazu verrät Theis, warum es so wichtig ist, zehn Jahre in der NBA zu spielen und warum Victor Wembanyama über ihn schon im Vorjahr Verteidiger des Jahres hätte werden müssen.
Herr Theis, für Sie steht nun NBA-Saison Nummer acht an. Haben Sie eigentlich eine Zielsetzung im Kopf, wie viele es am Ende werden sollen?
Es gibt in der NBA die Zehn-Jahre-Marke, die recht wichtig ist, weil ab da beispielsweise lebenslang die Krankenversicherung für die ganze Familie übernommen wird. Wichtiger für mich persönlich ist die Frage, ob es noch Spaß macht, ob ich gesund bin.
Viele Ex-Spieler sagen, dass ab einem gewissen Zeitpunkt der Karriere zwar die Spiele noch Spaß machen, aber die Trainings, die Instandhaltung und so weiter immer mehr zur Arbeit werden. Ist das für Sie auch schon ein Thema?
Momentan bin ich noch nicht so weit. Aber ich kann das Gefühl nachvollziehen. Je jünger man ist, desto mehr Freiheiten hat man über den Sommer. Mit Anfang 20 brauchst du keine große Vorbereitungszeit, kannst einfach loslegen und fühlst dich gut. Ich sehe das bei unseren Rookies oder Sophomores, wie sie ohne Warmup durch die Halle hopsen, und denke mir, "so war das bei mir auch mal." (lacht) Wenn du etwas älter bist, musst du schon lange vor dem offiziellen Trainingsstart darüber nachdenken, wie du auf den Punkt fit wirst. Du musst gezielt Regeneration machen. Das ist schon etwas aufwendiger, aber aktuell für mich noch kein Problem. Vielleicht ändert sich das in zwei, drei Jahren.
Die letzten Jahre waren recht turbulent, mit vielen Wechseln, vielen unterschiedlichen Situationen. Was haben Sie in der Zeit über die NBA gelernt?
Es ist ein großes Business, das nicht in erster Linie Platz für private Angelegenheiten oder Wünsche bietet. Es ist unterschiedlich für die jeweiligen Spieler. Wenn man jung ist, keine Familie hat, kann es auch spannend sein, neue Städte zu erleben, einfach zwei Koffer zu packen und los. Mit Familie ist das ein bisschen komplizierter. Meine Kinder sind jetzt im Schulalter, knüpfen Freundschaften, da ist es nicht so leicht, von einem Tag auf den anderen alle Zelte abzubrechen. Deswegen bin ich nach dem Trade vergangene Saison die ersten Wochen allein in Los Angeles gewesen, habe dort alles vorbereitet, ein Haus gesucht. Es ist gerade für die Kinder schon immer eine große Umstellung. Mein Ziel ist daher auch, wenn die Karriere vorbei ist, mal hoffentlich längere Zeit an einem Ort bleiben zu können.
Vor dem Trade mussten Sie sich irgendwie bereithalten, ohne zu wissen, ob und wann es mal wieder Spielzeit geben würde.
Es ist einfach die Realität, dass sich die Situation jederzeit ändern kann. Sei es durch eine Verletzung, einen Trade, was auch immer. Dann musst du bereit sein. Diese Ungewissheit ist vor allem mental richtig anstrengend. Da kann ich mich nur bei meiner Frau bedanken, wie sie mir den Rücken freihält und mir immer ermöglicht, mich auf das Wesentliche zu fokussieren.
Nach nur einem Einsatz in Indiana waren Sie bei den Clippers von Tag eins an mittendrin im Geschehen. Auffällig war, dass es quasi aus dem Nichts eine gewisse Pick&Roll-Chemie mit James Harden gab.
Das war einfach, vom ersten Tag an. James hat mit so vielen Leuten zusammengespielt, er kennt alle Wege, alle Tendenzen seiner Mitspieler, kann jeden Pass spielen. In dem Team gab es so viele Stars, dass sich leicht Freiräume ergeben haben. James mag das Pick & Roll, ich ja auch, das sieht man im Sommer ja auch immer, wenn ich mit Dennis Schröder zusammenspiele. Da habe ich das Glück, dass ich schon immer instinktiv ganz gut darin war, mich als Blocksteller zu positionieren und beim Abrollen Räume zu finden. Es gibt bei jedem Spielpartner gewisse Unterschiede, aber ich musste mich da zum Glück nicht lange umgewöhnen. James hat es mir auf jeden Fall sehr leicht gemacht.
Sie waren bei den Clippers ein fester Teil der Rotation. Wären Sie dort gerne geblieben?
Ich hätte es mir vorstellen können, gerade mit dem neuen Projekt, der neuen Halle, die sie jetzt eröffnen. Die Situation in New Orleans allerdings hat mich noch mehr gereizt. Bei den Clippers kam hinzu, dass dort was den Kader betrifft ja auch einige Ungewissheiten bestanden, das hat am Ende nicht mehr so gepasst.
Saison | Team | Spiele | MIN | PTS | FG% | REB | BLK |
---|---|---|---|---|---|---|---|
2017/18 | Celtics | 63 | 14,9 | 5,3 | 54,1 | 4,3 | 0,8 |
2018/19 | Celtics | 66 | 13,8 | 5,7 | 54,9 | 3,4 | 0,6 |
2019/20 | Celtics | 65 | 24,1 | 9,2 | 56,6 | 6,6 | 1,3 |
2020/21 | Celtics/Bulls | 65 | 24,6 | 9,6 | 54,1 | 5,5 | 0,9 |
2021/22 | Rockets/Celtics | 47 | 20,8 | 8,2 | 51,9 | 4,9 | 0,7 |
2022/23 | Pacers | 7 | 15,6 | 7,0 | 47,7 | 3,1 | 0,9 |
2023/24 | Pacers/Clippers | 60 | 16,9 | 6,3 | 53,2 | 4,1 | 0,9 |
Über den Sommer waren mal Gerüchte zu lesen, Panathinaikos oder Barcelona hätten Interesse an Ihnen. Haben Sie da tatsächlich Anfragen erreicht?
Das hat einfach nur jemand berichtet. Es gab keinen Kontakt zu mir oder zu meinen Agenten. Das hat sich vielleicht jemand ausgedacht. Ein Wechsel nach Europa war jetzt auf jeden Fall kein Thema.
Wie kam der Wechsel zu den Pelicans zustande?
Die Gespräche kamen auf, als ich schon bei der Nationalmannschaft war. Sie haben Interesse bei meinen Agenten signalisiert, dann wurde ein bisschen gesprochen. Es ging dabei weniger um die Summe, mehr um die Rolle, die sie mir bieten konnten. Mir ist es egal, ob ich starte oder von der Bank komme, das wird sich ohnehin ergeben, aber ich wollte die Perspektive haben, dass ich spiele. Das ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre das wichtigste für mich.
Diskussionen über das Team gehen aktuell oft in eine Richtung: Das Team ist eigentlich nicht fertig, zu klein, hat zu wenige Center. Sie sind ein Center, aber der einzige mit NBA-Erfahrung und eher klein für die Position. Nehmen Sie diese Skepsis wahr?
Es kann auch ein großer Vorteil sein, wenn du kleine, schnelle Lineups hast, auf die sich andere Teams und vor allem ihre Bigs dann einstellen müssen. Defensiv wird es viel darauf ankommen, dass wir zusammenarbeiten, gerade gegen die physisch schwierigen Matchups wie Joel Embiid oder Nikola Jokic. Da muss das Konzept passen, das kann nicht alles Herb Jones oder ich allein machen. Aber solche Lineups können auf der Gegenseite dafür auch richtig unangenehm werden. Das wird sich zeigen, wenn die Saison erstmal losgeht.
Was trauen Sie den Pels zu?
Wir wollen Erfolg. Dieses Team war über die letzten Jahre immer wieder nah dran, einen Run zu starten, aber es fehlte an Gesundheit. Auch letzte Saison, Zion Williamson machte so viele Spiele wie nie zuvor in der Regular Season, dann dominierte er im Play-In, nur um sich kurz vor Spielende wieder zu verletzen. Er hat noch nie ein Playoffspiel absolvieren können. Das wollen wir ändern. Die Motivation ist auf jeden Fall sehr groß.
Wie ist im Training bisher Ihr Eindruck von Zion?
Es gibt Momente im Training, bei denen man einfach nur staunt. Wenn er sich in den Kopf setzt, dass er dominieren möchte, dann macht er das auch. Er hat so eine spezielle Statur, ist so schnell, hat diese Sprungkraft, dazu auch diesen Touch. Was mich mit am meisten beeindruckt, sind aber auch seine Playmaking-Skills. Er passt richtig gerne und gut, muss nichts erzwingen, sondern kann das Spiel richtig gut lesen. In dieser Kombination ist das ein einzigartiger Spielertyp.
Ein "kleines" Team zu haben, wirkt gerade beinahe riskant. Über die letzten Jahre scheint die Dominanz der Big Men wieder zurück in der Liga zu sein. Eine Zeit lang galt die Center-Position fast als tot, aber jetzt gibt es wieder unheimlich viel Qualität und Tiefe auf der Position. Ist Ihr Job als Verteidiger schwieriger geworden über die Jahre?
Das Skillpaket wird immer größer. Viele von den Großen haben jetzt Guard-Skills, in der Hinsicht wird es schwerer, defensiv dagegenzuhalten. Du musst am Perimeter bestehen können, es reicht nicht, dass du einfach in Korbnähe versuchst abzusichern oder im Eins-gegen-Eins gegen einen klassischen Brettcenter verteidigst. Das wird tatsächlich in jedem Jahr etwas komplexer, auch weil es immer mehr gute, unterschiedliche Spielertypen gibt. Gerade in der Saison hast du keine Zeit, gezielt für ein bestimmtes Matchup zu trainieren. Da kommt viel auf Videostudium an, aber natürlich ist es etwas ganz anderes, ob ich gegen Embiid spiele, gegen Jarrett Allen oder Victor Wembanyama.
Wenn Sie den Namen schon ansprechen - wie ist bisher Ihr Eindruck von Wembanyama, was erwarten Sie von ihm in Jahr zwei?
Ähnlich wie Zion ist er jemand, der einzigartig ist, seine ganz eigene Kategorie. So wie er sich bewegen kann bei der Größe, das geht gegen alles, was man früher gelernt hat. Im Prinzip ist er ein 2,20m großer Guard, er kann ja auch am Ball fast alles. Ich kann mir gut vorstellen, dass er die Liga über die nächsten zehn, zwölf Jahre dominieren wird. Defensiv sowieso - Wemby hätte letztes Jahr schon den Defensive Player of the Year-Award haben müssen. Das wird über die nächsten Jahre eher nur besser werden, gerade wenn er noch kräftiger wird. Es wird gut für die ganze Liga sein, sich seine Entwicklung anzusehen.
War es für Sie so klar, dass er der beste Defender ist?
Jemand mit seiner Länge und der Spannweite hat es leichter, den Korb zu beschützen und einen Unterschied zu machen. Das ist für Bigs schon immer ein Vorteil, deshalb gewinnt diesen Award ja auch fast nie ein Guard. Wemby hatte schon um die drei Blocks pro Spiel, kann am Korb alles wegblocken, schüchtert reihenweise Leute ein, mehr als alle anderen in der Liga. Spieler drehen ab, wenn sie ihn in der Nähe sehen, diesen Effekt hat sonst in der Form keiner, auch nicht Rudy Gobert. Er wird mit den Jahren nur noch besser darin werden, das Spiel zu lesen, aber er war schon als Rookie wirklich sehr stark.
Auch bei Olympia haben Sie zweimal gegen ihn gespielt, mit unterschiedlichen Resultaten. Was blieb Ihnen von dem Turnier hängen?
Es ist der undankbarste Platz, niemand will Vierter werden. Es war trotzdem eine einzigartige Erfahrung, gerade die Zeit in Paris. Wir sind im Dorf geblieben als eins von nur drei Teams. Die Betten dort fand ich nicht so schlimm. Vielleicht waren die nicht so geeignet für Gewichtheber oder so, aber für uns war es kein Problem. Für mich war es sehr cool, durch das Village zu laufen und Sportler von überall auf der Welt zu sehen. Mal die unterschiedlichen Kulturen zu erleben, zu sehen, wie sich Leute aus anderen Sportarten auf ihre Wettkämpfe vorbereiten, da nimmt man sehr viel mit. Sportlich war es trotzdem kein gutes Ende. Vielleicht war es nicht so gut, dass wir in der Gruppenphase gegen Frankreich so dominiert haben. Das ging schon in die Richtung einer Demütigung. Dann hatten sie im Halbfinale Wut im Bauch, die Fans im Rücken, und wir haben einfach kein gutes Spiel gemacht. Im Spiel um Platz drei war Serbien dann richtig stark, das muss man anerkennen. Es ist einfach ärgerlich. Nach zwei Jahren ohne Niederlage kommen zwei in Folge und ruinieren dir den Sommer.
Gordon Herbert hat sich danach vom DBB verabschiedet und coacht nun den FC Bayern Basketball. Welche Bedeutung hatte er für den deutschen Basketball?
Er hat den deutschen Basketball nach ganz oben gebracht, an die Weltspitze. Er hat es geschafft, dass Spieler für die Nationalmannschaft spielen wollen, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Er hat tolle Beziehungen zu allen Spielern aufgebaut, hat Meinungen einbezogen, hat einfach ein richtiges Kollektiv kreiert und dafür gesorgt, dass alle an einem Strang ziehen konnten. Er hat es geschafft, auf die Bedürfnisse von jedem einzelnen einzugehen. Und Erfolge helfen natürlich. Die Bronze-Medaille bei der EM hat Augen geöffnet, gezeigt, dass tatsächlich etwas möglich ist, dann bist du noch lieber im nächsten Sommer wieder dabei und opferst die Zeit, die du auch mit der Familie oder am Pool verbringen könntest. Er hat da etwas aufgebaut, von dem alle gerne ein Teil sein wollten.
Wissen Sie schon, wie es für Sie nun weitergeht?
Es gab ja schon Berichte, dass ich zu den Spielern zähle, die nun mit der Nationalmannschaft aufhören. Da hat aber niemand mit mir gesprochen. (lacht) Vielleicht wäre mir das durch den Kopf gegangen, wenn wir Gold oder Silber bei Olympia geholt hätten, aber nicht nach so einem bitteren Ende. Es steht für mich nicht zur Debatte, jetzt aufzuhören. Ich habe mit Coach Alex Mumbru bereits gesprochen und ihm gesagt, dass ich nächsten Sommer gerne dabei bin. Ich denke, dass die meisten von uns so ähnlich denken und dass wir gemeinsam weiter erhalten wollen, was über die letzten Jahre entstanden ist. Es ist für viele von uns das vielleicht größte Highlight des Jahres, mit dieser Truppe für Deutschland zu spielen.
Sie haben über die letzten Jahre schon damit begonnen, sich auf die Karriere nach der Karriere vorzubereiten - Sie investieren in Gaming, sind beim Rhode Island FC involviert, auch beim VfL Wolfsburg. Ist es für Sie denkbar, vom Basketball in den Fußball-Bereich zu wechseln?
Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Ich könnte mir vorstellen, im Basketball mal in Richtung Coaching zu gehen, vielleicht probiere ich aber auch mal etwas ganz anderes. Rhode Island ist für mich auch ein Investment, dazu werde ich für den VfL Wolfsburg als Markenbotschafter arbeiten. Ich will über die nächsten Jahre ein wenig testen, was möglich ist und was für mich dann auch nach der Karriere in Frage kommt. Vielleicht ergibt sich da noch mehr im Fußball, das wäre schon möglich.
Haben Sie als Zuschauer eine Präferenz, Fußball oder Basketball?
Ich schaue definitiv mehr Fußball. Ich bin damit aufgewachsen. Es ist aber auch eine Abwägung: Basketball spiele oder schaue ich das ganze Jahr über, dabei kann ich den Kopf nicht abschalten, man analysiert quasi immer. Außer es geht zum Beispiel um die Finals, wo alte Freunde von mir aus Bostoner Zeiten dabei waren. Sonst geht es in der Freizeit mehr in Richtung Fußball oder auch Football in den USA, da kann ich einfach Fan sein und entspannen. Irgendwann ist der Kopf voll mit Basketball. Deswegen gehe ich in der Freizeit auch auf den Golfplatz und nicht auf den Freiplatz.
Was macht das Handicap?
14! Es wird besser. Man muss einfach die Zeit investieren. (lacht)
Wie war es für Sie, viele Ihrer alten Teammates in den Finals gewinnen zu sehen?
Mich hat es sehr gefreut. Klar wäre es schön gewesen, wenn dieses Ziel in meiner Zeit erreicht worden wäre, aber ich neide ihnen nichts. Gerade Jaylen und Jayson haben so viel investiert über die Jahre, wurden so oft kritisiert, dass sie diesen Titel einfach verdient hatten. Ich bin mit vielen Leuten aus diesem Team noch immer in Kontakt, habe auch im Sommer wieder in der Celtics-Facility trainiert, da Boston noch immer unsere Home-Base ist, und gönne es den Jungs. Das ist ein extrem gutes Team. Jetzt sind sie die Gejagten, das macht alles ein bisschen schwerer für sie, aber vielleicht sehen wir sie ja in den Finals. Das wäre ein i-Tüpfelchen.
Interview: Ole Frerks