05.12.2024, 12:40
Mehr als ein Drittel der EuroLeague-Saison ist absolviert
Nach 13 absolvierten Spieltagen der EuroLeague-Saison 2024/25 lohnt sich ein erster Blick auf die Kandidaten für die Awards, die in den vergangenen Jahren am Saisonende vergeben wurden.
Dieser Award geht naturgemäß häufig an Coaches, die mit ihren Teams für Überraschungen sorgen. Gordon Herbert hätte sich diesen Titel bislang nicht nur deshalb verdient, sondern weil Bayern auch zu den stärksten Teams des ersten Saisondrittels gehört. Binnen einem Sommer krempelte der Weltmeistertrainer Bayerns Identität um. War der Basketball in den vergangenen Jahren eher langsam und defensivorientiert, ist er nun temporeich und von viel Spielwitz geprägt - und bislang sehr erfolgreich. Bayern rangiert nach Platz 15 im Vorjahr nun ohne gestandene EL-Stars auf Platz fünf. Nick Weiler-Babb, Devin Booker und vor allem Carsen Edwards spielen den besten Basketball ihrer Laufbahn.
Ein Kandidat für Platz zwei ist der ehemalige Bayern-Trainer Andrea Trinchieri, der auch Kaunas seine Defense-DNA sofort einimpfte und mit einem vermeintlich kleinen Budget zum Kreis der Playoff-Kandidaten gehört. Auf Rang drei könnte Tiago Splitter verortet werden. Der Trainer-Neuling steht mit Paris überraschend an der Tabellenspitze, was allerdings vielleicht mehr zusammenhängt mit Spielmacher T. J. Shorts und vor allem Vorgänger Tuomas Iisalo, dessen Spielidee der Ex-NBA-Champion in Grundzügen übernahm. Trotzdem ist es Splitter hoch anzurechnen, dass er den Spielstil höchsterfolgreich fortführt.
Um nur rund zwei Wochen liegt Nadir Hifi unterhalb der U22-Altersgrenze, für die der Stichtag in den vergangenen Jahren der 1. Juli vor Saisonstart war. In 17:36 Minuten erzielt der französische Nationalspieler 12,7 Punkte mit 10,9 Feldwürfen pro Spiel. Auf 40 Minuten gerechnet ist das 22-jährige Energiebündel sogar der zweitbeste EL-Punktesammler. Hifi nimmt spektakulärste Würfe und ist jederzeit bereit, sie zu treffen, auch wenn seine Dreierquote mit 32 Prozent ausbaufähig ist. In Berlin nahm er 19 Dreier in rund 22 Minuten. Trotz seiner 1,85-m-Körpergröße und durchaus vorhandener Dribbling-Fähigkeiten spielt er ausschließlich auf der Position Zwei. Im Schnitt kommt er auf lediglich 1,0 Assists bei 1,1 Ballverlusten.
Auf Platz zwei landet in diesem subjektiven Ranking Barcelonas Juan Núnez (4,8 Punkte, 2,7 Rebounds, 3,3 Assists bei 1,5 Ballverlusten in 15:27 Minuten). Mit 20 Jahren ist der 36. Pick des vergangenen NBA-Drafts der jüngste EL-Spielmacher. Der Ex-Ulmer trägt Barcas Spiel schon gelegentlich mit seiner Schläue und Länge seinen Stempel auf. Auf Platz drei rangiert Monacos Matthew Strazel (6,1 Punkte, 1,3 Assists in 17:36 Minuten), der wie Landsmann Hifi nur knapp unterhalb der Altersgrenze liegt. Strazel hilft Playoff-Anwärter Monaco als Organisator, Verteidiger und Werfer. Seine Einsatzzeit könnte nach der Genesung von Routinier Nick Calathes aber sinken. Dafür könnte sich Berlins Matteo Spagnolo (11,7 Punkte, 3,8 Assists in 23:22 Minuten) in dieser Kategorie nach vorne spielen. Der 21-Jährige ist mit Hifi der produktivste U22-Akteur, erhält seine Spielanteile beim schwächsten EL-Team aber einfacher als seine Mitbewerber und agiert an beiden Enden noch unzuverlässig. Zuletzt blühte er aber auf.
Dieser Award könnte ebenfalls an einen Spieler von einem Überraschungsteam gehen - allerdings in diesem Fall von einer negativen Überraschung. Real Madrid rangiert nur im Mittelfeld. Dies liegt allerdings nicht an Tavares (11,1 Punkte, 8,4 Rebounds, 1,7 Blocks, 0,9 Steals in 26:11 Minuten), der diesen Award schon dreimal gewann. Laut Statistikportal 3StepsBasket gewinnt Real in seinen Minuten auf 100 Ballbesitze gerechnet mit 16,4 Punkten Differenz. Real ist um satte 30 Punkte auf 100 Ballbesitze besser mit ihm als ohne ihn. Der 2,20-m-Mann gehört weiterhin zu den besten Reboundern und Ringbeschützern. Im Clásico verteidigte er nach Switches auch Barca-Topscorer Kevin Punter erfolgreich.
Hinter Tavares fällt eine Auswahl schwer. Auf Platz zwei und drei könnten Paris‘ Center Kevarrius Hayes (7,0 Punkte, 4,8 Rebounds, 1,2 Blocks, 1,2 Steals in 20:24 Minuten) und Barcas Jan Veselý (10,8 Punkte, 4,2 Rebounds, 1,2 Steals, 0,7 Blocks in 22:26 Minuten) verortet werden. Beide bringen nicht die physische Präsenz eines Tavares mit, glänzen jedoch mit Mobilität und der Fähigkeit, unterschiedliche Pick-and-Roll-Verteidigungen zu spielen. Auch Vorjahres-Gewinner Thomas Walkup (4,3 Punkte, 2,6 Rebounds, 1,3 Steals, 22:13 Minuten für Piräus) ist wieder in der Verlosung. Der frühere Ludwigsburger verkörpert als Führungsspieler und vorbildlicher Arbeiter Olympiakos‘ DNA. Allerdings zeigt sich eine statistische Tendenz, wonach Guards oft weniger Einfluss auf eine Teamdefense nehmen können, weil sie in der Regel einen Gegenspieler verteidigen und nicht die gesamte Defense verankern. Laut 3StepsBasket ist Piräus‘ Defense mit Walkup nicht stärker, was ihn von anderen Kandidaten unterscheidet.
Arnas Butkevicius (4,8 Punkte, 4,9 Rebounds, 1,2 Steals) von Kaunas, dem bisher effizientesten Defensivteam, könnte darüber hinaus noch Erwähnung finden. Trinchieri setzt den physisch agierenden Flügelspieler defensiv auf den Positionen Eins bis Vier ein. In Switches verteidigt er auch auf der Fünf. Mit ihm auf dem Feld ist Kaunas laut 3StepsBasket um 15,7 Punkte auf 100 Ballbesitze stärker als ohne ihn.
Nach MVP-Titeln in der Basketball Champions League, im EuroCup, in der BBL und in der französischen Liga könnte T. J. Shorts (18,1 Punkte, 7,8 Assists, 2,2 Ballverluste) auch in der europäischen Königsklasse zum wertvollsten Spieler avancieren. Mit Führungsqualitäten, Tempo, fast fehlerfreier Entscheidungsfindung und der Fähigkeit, innerhalb des Dreierbereichs schwierigste Abschlüsse zu verwandeln, ist der 1,75-m-Wirbelwind der Motor im Spiel des Überraschungsteams des ersten Saisondrittels.
Hinter Shorts gibt es zahlreiche Kandidaten, die austauschbar sind - mitunter Piräus‘ Sasha Vezenkov, Panathinaikos‘ Mathias Lessort und Kendrick Nunn, Mailands Nikola Mirotic, Fenerbahces Nigel Hayes-Davis, Bayerns Carsen Edwards oder auch Real-Duo Tavares und Facundo Campazzo.
Theoretisch wäre es in der regulären Wahl möglich, die beste Fünf positionsunabhängig zusammenzustellen. An dieser Stelle sollen aber Spieler nur um maximal eine 'Position' verschoben werden. Im ersten Team darf T. J. Shorts nicht fehlen. Neben ihm hätte Bayerns Carsen Edwards (19,8 Punkte, 3,2 Assists, 2,0 Turnovers) einen Platz verdient. Nach eher ineffizienten 11,5 Punkten in der Vorsaison ist er bislang der EL-Topscorer mit 19,8 Zählern. Der Shooting Guard kommt auf rund doppelt so viele Freiwürfe (3,5) wie im Vorjahr, trifft 53 statt 46 Prozent aus dem Zweierbereich und findet häufiger seine Mitspieler (3,2 statt 1,8 Assists). Das 1,80-m-Kraftpaket profitiert am stärksten vom schnelleren Spielstil. Mit rund sechs Punkten pro Spiel kreiert er laut Datendienst Synergy zusammen mit Reals Spielmacher Campazzo die meisten Punkte in der Transition. Defensiv bleibt Edwards anfällig.
Neben ihm ist an dieser Stelle auch Nikola Mirotic (18,5 Punkte, 7,7 Rebounds) zu nennen. Der 359-malige NBA-Spieler und EL-MVP von 2022 ist der zweitbeste Punktesammler und Rebounder. Mit konstantem Scoring hielt der Power Forward Mailand nach einem erneuten Fehlstart und Verletzungsproblemen fast im Alleingang in Playoff-Reichweite. Mit Sasha Vezenkov (18,5 Punkte, 5,9 Rebounds, 55 Prozent Trefferquote aus dem Feld) überzeugt ein weiterer Power Forward und ehemaliger EL-MVP (von 2023) kontinuierlich. Wie vor seinem NBA-Intermezzo prägt der bulgarische Nationalspieler mit seiner Bewegung abseits des Balles, seiner Entscheidungsfindung (1,7 Assists bei 0,8 Ballverlusten) und seinem Wurf das teamorientierte Olympiakos-Spiel. Panathinaikos‘ Mathias Lessort (14,5 Punkte, 7,2 Rebounds, 1,0 Steals) komplettiert die Fünf. Der frühere Münchener ist mit seiner Athletik, Wucht und Energie in der Zone kaum zu stoppen und ein wichtiger Motor im Spiel des amtierenden EL-Champs.
Einen Platz im zweiten Team verdient sich neben Walter Tavares Teamkollege Facundo Campazzo (13,9 Punkte, 7,7 Assists), der ebenfalls ein Lichtblick ist in einem schwächelnden Real-Team, bei dem von der Bank wenig kommt. Athens Kendrick Nunn (18,1 Punkte, 40 Prozent Dreierquote) bestätigt zudem seine starken Playoff- und Final-Four-Leistungen der Vorsaison. Fenerbahces Nigel Hayes-Davis (16,7 Punkte, 5,2 Rebounds, 50 Prozent Dreierquote) bleibt für Fenerbahce ein häufig unauffälliger, aber an beiden Enden zuverlässiger Faktor. Auch Bayerns Devin Booker (15,2 Punkte nach 9,7 im Vorjahr) verdient sich einen Platz in dieser Auswahl, auch wenn er neben Tavares auf der Vier aufliefe, während ein gewichtiger Grund seines Leistungssprung darin liegt, dass er in dieser Saison auf der Fünf anstatt auf der Vier spielt. Als weitere Kandidaten können beispielsweise Nikola Milutinov, Evans Fournier (beide Piräus), Kevin Punter (Barca), Zach LeDay (Mailand) und Théo Maledon (Villeurbanne) genannt werden.
Lukas Feldhaus