19.12.2024, 13:09
Besonders und trotzdem bodenständig
ratiopharm Ulm war vor der Saison eine kleine Wundertüte. Einige Säulen blieben, andere gingen. Nach wenigen Monaten haben sich aber ausgerechnet die beiden Jüngsten, Ben Saraf und Noa Essengue, als wichtige Stützen im Team etabliert.
Platz drei in der BBL, Platz drei im EuroCup. Die Ulmer liegen kurz vor Weihnachten voll im Soll. Zuletzt gab es gegen Heidelberg mit einer 19-Punkte-Halbzeit eine kleine Delle, doch die Mannschaft zeigte international gegen die BC Wolves die richtige Reaktion und hat nach zwölf von 18 Spielen weiterhin die Chance, sich im EuroCup direkt für das Viertelfinale zu qualifizieren.
Wie es scheint, gelingt dem Meister von 2023 erneut der Spagat, ein deutsches Top-Team zu stellen und gleichzeitig als internationale Talentschmiede zu fungieren. In Ben Saraf (18) und Noa Essengue (18) haben die Ulmer zwei Teenager in ihrer Rotation, die wichtige Rollen einnehmen und sich gleichzeitig auch für die NBA empfehlen wollen. Im aktuellen Mock Draft von ESPN belegen die beiden Platz 14 bzw 17.
"Was die beiden abspulen, ist beeindruckend", befand auch Nationalspieler Nelson Weidemann gegenüber basketball-world.news. Dabei kann es durchaus zu Reibungen kommen. Junge Spieler ins Schaufenster stellen und erfolgreich sein, ist nicht immer die beste Symbiose. In Ulm funktioniert es aber, was auch an den beiden selbst liegt.
"Sie lassen es nicht raushängen und sind bodenständige Jungs. Das macht die Zusammenarbeit sehr angenehm." Dazu überzeugen beide auf dem Feld. Saraf kommt zwar derzeit nur noch von der Bank, spult aber dennoch 23 Minuten pro Partie ab und verbucht dabei 12,7 Punkte sowie 4,1 Assists im Schnitt. Nicht selten ist er es, der in kritischen Phasen die Entscheidungen trifft oder gar Spiele einfach übernimmt.
Im EuroCup ist Ulm mit Saraf auf dem Feld gut fünf Punkte pro 100 Ballbesitze besser als ohne ihn, in der BBL sind es sogar zehn Zähler - und das trotz der noch fehlenden Effizienz.
"Dem merkst du nicht an, wenn es mal nicht läuft", sagt Weidemann. Stattdessen hat der Israeli bereits eine Reife, die nur wenige in diesem Alter an den Tag legen. "Selbst wenn Ben jetzt mit seiner Entwicklungskurve ganz oben angekommen wäre, ist das schon ein exzellenter Spieler auf dem höchsten Niveau", so Weidemann weiter.
Perfekt ist natürlich noch nicht alles, doch Saraf wirkt in seinen Aktionen bereits sehr abgezockt, produziert wenig Ballverluste und findet Wege für sich selbst zu kreieren. Der Dreier bleibt wacklig, doch seine Abschlüsse aus der Mitteldistanz müssen respektiert werden, dieser Wurf wird für U-18-EM-MVP immer da sein.
Ob Saraf in die NBA passt? Daran scheiden sich die Geister, auch wenn der Israeli schon jetzt deutlich mehr als ein Killian Hayes vor vier Jahren gezeigt hat. Saraf ist ein guter, aber kein überragender Athlet, sein etwas unorthodoxer Stil ist schwer zu greifen, sodass nicht ganz klar ist, in welcher Rolle Saraf aufblühen könnte.
Solche Fragezeichen bestehen auch bei Essengue, der erst vor wenigen Tagen volljährig wurde. Im Vorjahr durfte der Franzose in 16 Pflichtspielen reinschnuppern, nun steht auch der Forward 22 Minuten pro Spiel auf dem Feld und zieht die zweitmeisten Freiwürfe im kompletten EuroCup (76 in zwölf Partien).
Essengue sticht mit seiner Länge und Eleganz in jedem Spiel heraus, dazu besitzt der Franzose auch ein Näschen für Offensiv-Rebounds und scheut trotz seines schmächtigen Körpers auch nicht vor Kontakt zurück. "Noa kann Dinge, die dir niemand beibringen kann", findet auch Weidemann. "Ich meine damit Spielgefühl, Timing, Spielwitz, Athletik, Körperlänge. Wenn er noch ein paar Kilos draufpackt, ist er ein richtiges Problem."
Auf europäischen Level ist das schon jetzt so, man muss gleichzeitig nur wenig Fantasie aufbringen, um im 18-Jährigen einen zukünftigen NBA-Spieler zu sehen. Essengue macht Plays in der Defense, kann vom Flügel attackieren und besitzt mit 2,05 Meter (so wird er zumindest von Ulm gelistet) Gardemaß für eine der Forward-Positionen.
Was womöglich über seine Zukunft entscheiden wird, ist die Frage, wie gut die Dreier fallen werden. Beim Spiel in Portland fielen sie, über die Saison sind es jedoch nur 31 Prozent bei gerade einmal 1,9 Versuchen pro Partie. Gleichzeitig genießen sowohl Saraf und Essengue so viel Spielzeit auf hohem Level wie kaum ein anderer Spieler in der kommenden Draft Class.
"Sie sind besonders, lassen es dich aber nicht wissen", fasst es Weidemann zusammen, um noch einmal zu betonen. "Das ist bei so talentierten Spielern am wichtigsten. Sie wissen, dass sie in ein paar Jahren Millionen von US-Dollar verdienen werden. Dass sie aber so bodenständig sind, hart arbeiten und einen solch guten Charakter haben, das macht sie besonders."
Robert Arndt