13.02.2025, 13:00
Meister von 2023 meistert schwierigen Spagat
Jugendarbeit und sportlicher Erfolg - das passt im europäischen Basketball oft nicht zusammen. Die wenigsten Teams versuchen es überhaupt, ratiopharm Ulm hat sich in den vergangenen Jahren aber genau zu einer solchen Organisation entwickelt. Wir haben uns in der Donaustadt umgehört und versucht, zu verstehen, warum es funktioniert.
So etwas sieht man nicht oft in der BBL. In den letzten Minuten des 92:66-Kantersiegs von ratiopharm Ulm gegen den Syntainics MBC standen tatsächlich fünf Spieler aus der eigenen Akademie auf dem Feld.
U-18-Europameister Jordan Müller sowie der Däne Frederick Drejer Erichsen gaben ihr Bundesliga-Debüt, dazu komplettierten Tobias Jensen, Alec Anigbata und Nico Bretzel die Ulmer Fünf in den Schlussminuten. Sie alle scorten, was den Abend nach der Enttäuschung gegen Hapoel Tel Aviv am Mittwoch, als Ulm nach fünf Niederlagen am Stück aus dem EuroCup ausschied, noch runder machte.
"Das ist die Vision des Managements, das war sie schon immer. Es hat mich gefreut, dass wir heute die Chance dazu hatten", erklärte Coach Ty Harrelson nach der Partie und witzelte, dass Erichson nun schon mit dem Gedanken spiele, seine Karriere zu beenden. Schließlich habe dieser nun die beste Feldwurfquote aller Zeiten in der Bundesliga.
Die Stimmung ist prächtig in Ulm, an jenem Wochenende fand zudem zeitgleich mit dem adidas Next Gen EuroLeague (ANGE) das renommierteste Nachwuchsturnier in Europa am Orange Campus statt, bei dem die U18 der Ulmer auf einem respektablen dritten Platz landete und dabei unter anderem Alba Berlin deutlich hinter sich ließ.
Deutscher Meister 2023, die Eröffnung des Campus, dazu vier entwickelte NBA-Spieler (Killian Hayes, Jeremy Sochan, Juan Nunez, Pacome Dadiet) in den vergangenen fünf Jahren - die Entwicklung am Standort Ulm sucht in Deutschland seinesgleichen, dennoch ist es stets ein schwerer Spagat die sportlichen Erwartungen zu erfüllen und gleichzeitig das Versprechen einzulösen, junge Spieler an den Profibereich heranzuführen und zu entwickeln.
"Im Sport ist alles sehr kurzlebig", meinte auch Geschäftsführer Dr. Thomas Stoll im Interview mit basketball-word.news. Der 57-Jährige zählte 2001 zu den Rettern des Ulmer Basketballs, als der SSV Ulm pleiteging und vor dem Aus stand. Stoll erinnert sich nur zu gut daran, dass sich damals alle 23 Abteilungen im Verein gegen die Rettung der Basketballer aussprachen, nur dank des gnädigen Insolvenzverwalters konnte die Lizenz gekauft werden. Der Neustart in Liga zwei gelang, inzwischen spielt Ulm seit über einer Dekade in der modernen ratiopharm Arena, ist Dauergast in den BBL-Playoffs und hat sich zu einem Hotspot für einige der besten Talente in Europa entwickelt.
"Das ist schon cool, was wir erreicht haben, aber Zeit zum Reflektieren bleibt selten", erklärt Stoll. "Das ANGE ist eine tolle Geschichte für uns, aber am Ende zählen nur die Ergebnisse. Wir sind stolz und glücklich, wir bekommen viel Lob, aber wenn wir in der BBL drei, vier Spiele verlieren, dann ist das alles wieder vergessen."
Das mag für die Fans in Ulm gelten, doch international haben sich die Ulmer etabliert und sind inzwischen auch weltweit bekannt. Im Herbst traten die "Uuulmer" als erstes deutsches Team bei einem NBA-Vorbereitungsspiel in den Staaten an, das ANGE ist der nächste Meilenstein und hier und da wird bereits gemunkelt, dass auch die EuroLeague nicht abgeneigt ist, Ulm einzuladen. Durch das zuletzt schwache Abschneiden von Alba Berlin sowie die mögliche Expansion auf 20 Teams kein Ding der Unmöglichkeit.
"Sollte Alba mal nicht wollen, dann kann sich die EuroLeague schon vorstellen, dass sie ein anderes deutsches Team nehmen würden. Derzeit fehlen uns aber dafür die Finanzen, um das zu stemmen", versichert Stoll, laut dem Ulm dafür mindestens zwei, drei Millionen Euro fehlen, um das möglich zu machen.
An der Attraktivität des Standorts ändert das nichts, mit Ben Saraf und Noa Essengue stehen auch in dieser Saison wieder zwei Top-Talente im Kader, die viel spielen und im Sommer aller Voraussicht nach beide in der ersten Runde gedraftet werden.
"Es ist der beste Ort für einen Spieler, um sich zu entwickeln", findet Saraf im Gespräch mit basketball-world.news. "Sie haben mit Nunez und all den anderen Spielern großartige Arbeit geleistet, deswegen war es für mich eine einfache Entscheidung hierher zu wechseln." Bislang macht es sich bezahlt, Saraf und auch Essengue bleiben schon das ganze Jahr über in der ersten Runde diverser Mock Drafts.
Sollten beide nach Übersee wechseln, würde Ulm pro Spieler 875.000 Dollar kassieren, das ist die festgeschriebene Ablösesumme für gedraftete Europäer. "Das sind Peanuts und auch für uns wird die Konkurrenz größer", erklärt Stoll. In Italien leistet zum Beispiel Trento gute Nachwuchsarbeit, Barcelona und Madrid binden seit Jahren die besten europäischen Talente bereits frühzeitig ein und dominieren so alle Jugendturniere in Europa.
"Jedes Jahr gibt es vielleicht fünf Spieler aus Europa, die in der ersten Runde gedraftet werden. Das sind für uns die interessanten Spieler, aber es gibt vermutlich 100 Teams, die finanziell besser als wir aufgestellt sind. Unsere Aufgabe ist es, jedes Jahr zumindest einen zu überzeugen, aber das wird nicht immer klappen."
Am Ende des Tages liege es dann stets am Spieler, der finanziell Abstriche machen müsse, um dann womöglich den großen Zahltag in der NBA zu bekommen. Gleichzeitig hilft auch die eigene Reputation: "Wir haben uns einen Ruf aufgebaut, dass uns die Leute anrufen und versuchen, hier ihre Spieler platzieren."
Bei Saraf war dagegen etwas Glück dabei. Ihn hatten die Ulmer schon Monate vor seinem Durchbruch bei der U-18-EM unter Vertrag genommen. So spielte es auch keine Rolle mehr, dass neben europäischen Top-Klubs auch diverse Colleges um den Israeli buhlten und diesem über NIL-Deals ein Vielfaches von dem boten, was er in Ulm verdient.
Und für den 18-Jährigen zahlt es sich aus. Der Spielmacher trat als Nachfolger von Nunez ein schweres Erbe an, spielt jedoch eine sehr konstante Saison, auch wenn sein Stil ein anderer ist. An ihm lag es nicht, dass die Ulmer zum ersten Mal seit 2021 die Playoffs im EuroCup verpassten.
Spiele | MIN | PTS | FG% | 3P% | AST | STL |
---|---|---|---|---|---|---|
34 | 24,1 | 12,6 | 46,6 | 27,4 | 4,4 | 1,1 |
"Ich versuche das umzusetzen, was meine Trainer von mir wollen und nehme so viel wie möglich von den Veteranen mit", sagt Saraf, der vor allem den zuletzt häufiger verletzten Tommy Klepeisz als eine Art Mentor nennt. "Er hilft mir während der Spiele und in den Trainingseinheiten, aber ich sehe mich nicht als 18-Jährigen auf dem Feld. Ich bin der Point Guard und ich muss Verantwortung übernehmen."
Es sind nicht nur leere Worte, wie sein Guard-Kollege Nelson Weidemann gegenüber basketball-world.news schon vor einigen Monaten bestätigte: "Ben ist für sein Alter sehr professionell und schon so reif. Das ist unfassbar. Auch wenn es mal nicht läuft, merkt man es ihm nicht an. Das ist schon bemerkenswert."
Derzeit belegen die Ulmer Rang drei in der Bundesliga, am Donnerstag geht es zum Abstiegskandidaten nach Göttingen (ab 20 Uhr live bei Dyn). Eigentlich ein Pflichtsieg, doch Saraf warnt: "In der BBL kann wirklich jeder jeden schlagen. Wir haben zum Beispiel auch in Frankfurt verloren, was schon zeigt, dass wir immer voll konzentriert sein müssen." Die Playoffs bleiben das große Ziel, dort erscheint wieder alles möglich.
"Es wird schwer, aber ich will mit Ulm den Titel gewinnen", sagt Saraf über seine Ziele für die Saison. Es könnte damit einhergehen, dass der Israeli dann auch im Sommer hoch gepickt werden würde. Für die Ulmer wäre das ein guter Deal und ein weiterer Beweis dafür, dass der anspruchsvolle Spagat zu meistern ist.
Robert Arndt