15.10.2024, 14:47
BBL-Youngster im Fokus
Wenn ratiopharm ulm am kommenden Mittwoch, dem 16. Oktober, zu einem Vorbereitungsspiel bei den Portland Trail Blazers gastiert, steht vor allem Ulms Spielmacher Ben Saraf vor einem außergewöhnlichen Erlebnis.
Eine Besonderheit liegt darin, dass der 18-Jährige auf Landsmann Deni Avdija, dem aktuell einzigen israelischen NBA-Spieler, trifft. Die Brisanz basiert aber vorrangig darauf, dass ab der Saison 2025/2026 auch Saraf in der weltbesten Liga auflaufen könnte und beim Spiel in Portland bereits einige Blicke von NBA-Funktionären und Scouts auf sich ziehen dürfte.
In einem aktuellen Big Board des US-amerikanischen Sportnachrichtensenders ESPN rangiert der Spielmacher aktuell an Position 16 - zwei Plätze vor Teamkollege Noa Essengue. Doch wer ist der 18-Jährige und was macht sein Spiel interessant für NBA-Franchises?
Ben Saraf wählte in Israel einen eher außergewöhnlichen Pfad, denn anders als die drei einzigen in Israel großgewordenen Spieler in der NBA-Historie - Gal Mekel, Omri Casspi und Deni Avdija - spielte der spielintelligente Point Guard bislang nie im Programm von Israels EuroLeague-Topteam Maccabi Tel Aviv. Stattdessen ging Saraf seine ersten Schritte im Jugendprogramm von Hapoel Emek Hefer. "Er wollte immer sichergehen, dass er zu Teams wechselt, die ihm die Schlüssel in die Hände geben", erklärt der israelische Basketballjournalist Moshe Halickman, der Sarafs Werdegang seit etwa drei Jahren verfolgt.
"Im Sommer 2021 erzählte mir ein europäischer Scout vor dem U16-Challenger-Turnier von Saraf", erinnert sich Halickman und fährt fort: "Er war der beste Spieler im Team, obwohl er erst 15 war. Im Sommer 2022, als er der Topscorer der U16-Europameisterschaft wurde, war ich begeistert davon, wie gut er beim Sieg gegen Serbien in der Runde der sechzehn besten Teams war." Saraf kratzte in diesem Spiel mit 28 Punkten, zehn Rebounds und neun Assists am Triple-Double. Mit rund 24 Punkten, sieben Rebounds und vier Assists pro Partie führte der 1,97 Meter große Spielmacher Israel auf den fünften Platz.
Das Spielverständnis war schon immer eines seiner Markenzeichen. In einem Artikel für das israelische Portal Sports Rabbi zitiert Moshe Halickman Sarafs ehemaligen Jugendtrainer Ramon Wolfson. "Als Ben in der achten Klasse [damals 13 oder 14 Jahre alt, Anm. d. Red.] und ein Jahr jünger als alle anderen war, kam er während des Spiels zu mir, als es Freiwürfe gab", erinnert sich Wolfson. "Er sagte: 'Ramon, wir haben keine gute Gruppe von fünf Spielern auf dem Feld. Du musst jetzt einen Werfer einwechseln. Wir haben niemanden, der einen Korb werfen kann.'"
In diesem Sommer folgte Sarafs bisherige Krönung, als er Anfang August bei der U18-Europameisterschaft zum MVP avancierte und mit rund 28 Punkten, fünf Rebounds, fünf Assists und vier Steals pro Partie brillierte. Im gleichen Sommer folgte der Wechsel zu Ulmern, die sich angeblich schon früh seine Dienste sicherten. Arale Weisberg vom israelischen Sportportal Walla Sport berichtete bereits im März über den bevorstehenden Transfer von Saraf, der in der abgelaufenen Spielzeit bei seinem Erstligadebüt Kirjat Ata mit nur 17 Jahren maßgeblich ins Halbfinale der israelischen Liga führte (zehn Punkte, vier Assists pro Spiel).
In Ulm reiht sich der inzwischen 18-Jährige ein in eine Riege von talentierten Spielmachern, die in den vergangenen Jahren über Ulm im NBA-Draft landeten. Im Sommer 2020 wurde Killian Hayes an siebter Stelle in die NBA gedraftet, nachdem er zuvor ein Jahr in Ulm viel Verantwortung erhielt. Im diesjährigen Draft wurde Juan Núnez nach zwei Saisons in Ulm an Position 36 gezogen.
Saraf unterscheidet sich von Hayes und Núnez schon alterstechnisch dadurch, dass er zum Zeitpunkt des Drafts um etwa ein respektive zwei Jahre jünger sein wird als seine Vorreiter. Dementsprechend können auch seine Leistungen für Ulm schon unter diesem Gesichtspunkt etwas höher eingestuft werden. Doch auch altersunabhängig performt Saraf bislang sehr eindrucksvoll. In acht absolvierten Pflichtspielen legte der Point Guard laut Statistikportal RealGM 13,8 Punkte und 4,8 Assists bei nur 2,1 Ballverlusten auf.
Gegen Chemnitz, BBL-Halbfinalist der Vorsaison, trumpfte er mit 21 Punkten auf. Bei seinem EuroCup-Debüt erzielte er in allen vier Partien mindestens zehn Punkte - zudem zweimal mindestens sieben Assists. Was ihn von Hayes und Nunez bisher abhebt, ist auch die Tatsache, dass Ulm die ersten sechs Pflichtspiele gewann und Saraf ein maßgeblicher Grund dafür ist. Seine beiden 'Vorgänger' brauchten gewisse Anlaufzeit. Hayes trug mangels Konstanz im Endeffekt nie kontinuierlich zu Teamerfolg bei.
Draft-Analyst Jonathan Givony hebt im jüngsten Big Board von ESPN "Sarafs Kombination aus Größe, Spielgefühl, Kreativität als Passgeber und Scoring-Instinkten" hervor. Im vergangenen Februar nahm der Israeli am von der NBA ausgerichteten "Basketball Without Borders"-Camp teil. Dort wurde seine Armspannweite mit rund 2,02 Meter bemessen, womit er in Addition zu etwa 1,97 Meter Körperlänge auch für NBA-Maßstäbe ein relativ großer Spielmacher ist. Seine Länge eröffnet ihm offensiv zahlreiche Passfenster, während er defensiv in der Lage ist, Passfenster zu erschweren und immer wieder gegnerische Pässe und Dribblings zu stören.
Hinzu kommen sein herausragendes Spielverständnis und seine Intuition. Immer wieder kommt er an Gegenspielern vorbei mit seinem versierten Ballhandling. Der 18-Jährige ist kein explosiver Athlet, weiß aber zahlreiche Dribblemoves und eine feine Fußarbeit in seinem Repertoire. Wenn der Gegenspieler eine Seite verschließt, liest Saraf den Kontakt und zieht häufig per Crossover oder Spin-Dribbling um die eigene Achse über die andere Seite zum Korb. "Er kommt bislang dorthin, wo er hinwill", analysiert Givony treffend. Regelmäßig nimmt Saraf seinen Gegenspieler auf den Rücken und scheut in der Zone nicht vor Kontakt. Wenn er den Ball auf dem Flügel erhält, zeigt er zudem zumindest in Ansätzen, dass er Close-outs lesen und mit seiner ausgefeilten Fußarbeit in die Zone eindringen kann.
Zudem lässt der Linkshänder das Potenzial aufblitzen, ein relativ sicherer Werfer im Bereich um die Freiwurflinie herum zu sein. In den ersten sechs Pflichtspielen verwandelte Saraf laut Statistikportal Synergy gute fünf seiner neun Sprungwürfe aus der Nah- und kurzen Mitteldistanz. Wenn er diesen Aspekt zu einer Stärke ausbauen könnte (in der Vorsaison nur 36 Prozent aus diesem Bereich), würde er die Helferverteidigung noch stärker dazu zwingen, ihn früh aufzunehmen. In den ersten Pflichtspielen zeigte sich bereits, dass Gegner diesen Wurf durchaus respektieren, und Saraf wusste dies gelegentlich auch zu nutzen, um den Wurf anzudeuten, um dann doch mit einem weiteren Crossover zum Korb zu ziehen. Er kann das Tempo jederzeit verzögern und wieder beschleunigen. Auf diese Weise manipuliert der Youngster regelmäßig gegnerische Verteidigungen.
Als Passgeber führt er nicht nur naheliegende Anspiele aus, sondern setzt auch häufig 'No-Look'-Pässe oder Pässe hinter dem Kopf ein. Ab und an ändert er auch in der Luft stehend die Passrichtung erfolgreich. Bisher unterlaufen ihm angesichts der riskanten Spielweise nur wenige Ballverluste. Seine schwächere rechte Hand hat allerdings sowohl beim Passen als auch im Abschluss noch Verbesserungsbedarf.
Seine starke Intuition zeigt sich darüber hinaus darin, dass er auch abseits des Balles häufig für Cuts parat steht, oder wenn es darum geht, in der Verteidigung Bälle zu klauen oder gegnerische Bewegungen zu antizipieren. Defensiv zeigt das Toptalent zudem starke Gewohnheiten. Selbst wenn er bislang häufiger doch von athletischeren Gegenspielern bezwungen wird, rotiert der Aufbauspieler in der Regel weiter. Zudem scheut er auch im Ulmer Team nicht davor, als Youngster seine Mitspieler zu dirigieren. Sarafs Selbstbewusstsein zeigt sich ebenfalls darin, dass er sich gegen Ludwigsburgs aggressive Defense schwertat, aber in den letzten drei Minuten vier seiner sechs Punkte erzielte und somit zum knappen Erfolg seines Teams beitrug.
Das größte Fragezeichen im Hinblick auf eine Zukunft in der NBA bezieht sich wahrscheinlich neben seiner nicht elitären Athletik auf seinen Wurf. In seinen ersten beiden Profisaisons verwandelte Saraf laut RealGM lediglich 25 Prozent seiner rund drei Dreierversuche pro Spiel. Die Freiwurfquote von 67 Prozent lässt ebenfalls bisher nicht auf den feinsten Touch schließen. Seine aktuelle Technik mit einem recht hohen Abwurfpunkt und wenig Dynamik aus den Beinen könnte ihm Probleme bereiten, auf Dauer Konstanz aus tieferer Entfernung als der Nahdistanz aufzubauen.
Nichtsdestotrotz ist Saraf ein außergewöhnliches Talent, das dies am kommenden Mittwoch zum ersten Mal gegen ein NBA-Team unter Beweis stellen darf.
Lukas Feldhaus