04.08.2024, 08:29
DBB-Frauen schon sicher im Viertelfinale
Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft überrascht bei ihrer Olympia-Premiere mit dem Viertelfinaleinzug, das Duell mit dem Team USA mutet vor dem Umzug nach Paris wie eine Kür an. Der Aufschwung im Frauen-Basketball hat sich durchaus angedeutet - trotz einer international unbedeutenden heimischen Liga.
Lille oder Las Vegas - Hauptsache All-Star-Flair. Wenn Satou Sabally am Sonntag mit der deutschen Frauen-Nationalmannschaft für das letzte Vorrundenspiel auf das Parkett des Pierre Mauroy Stadions in Lille treten und vor erneut über 20.000 Zuschauern gegen die US-Auswahl antreten wird, könnte sie sich womöglich an den 15. Juli 2023 erinnert fühlen. An diesem Tag fand in Las Vegas vor ebenfalls großer Kulisse und immerhin knapp 10.000 Zuschauern das WNBA All-Star Game statt, Sabally stand beim Show-Spiel der besten Akteurinnen der US-Liga zum ersten Mal in der Startformation. Auf wen sie da alles traf? Auf elf der zwölf Spielerinnen, die aktuell im Kader der US-Nationalmannschaft stehen, einzig Legende Diana Taurasi fehlte in Las Vegas.
Wenn die DBB-Auswahl bei ihrer ersten Olympia-Teilnahme überhaupt auf die Gold-Abonnentinnen aus den USA trifft, dann hat das - bei allem Respekt für die Mannschaft von Bundestrainerin Lisa Thomaidis nach den zwei Überraschungserfolgen gegen Belgien und Japan - natürlich wenig von einem All-Star-Spiel. Zu dominant sind die US-Frauen, die seit 56 Olympia-Partien in Serie ungeschlagen sind und dabei siebenmal Gold geholt haben, "nur" drei deutsche WNBA-Spielerinnen gibt es derzeit. Es finden sich bei der DBB-Auswahl aber ein paar Anknüpfungspunkte mehr zur WNBA, und ein Duell bei den Olympischen Spielen mit den USA mag mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre nicht ganz so überraschend sein.
Von den drei deutschen WNBA-Spielerinnen Satou und Nyara Sabally sowie Leonie Fiebich sticht Erstgenannte heraus. Die 26-jährige Flügelspielerin hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der besten Spielerinnen der WNBA entwickelt, zuletzt erhielt sie die Auszeichnung der meistverbesserten Akteurin und landete bei der MVP-Wahl auf dem fünften Platz. Beim 75:64-Erfolg über Japan verpasste Sabally mit 33 Punkten den deutschen Länderspielrekord von Marlies Askamp nur um zwei Zähler, ihre vielseitige Art zu punkten lässt erahnen, warum sie den Spitznamen "Einhorn" trägt.
Leonie Fiebich agiert eigentlich nicht minder vielseitig, die 24-jährige Flügelspielerin ist aber niemand, die viel forciert, könnte das auf Grund ihrer Wurfstärke aber durchaus tun. Fiebich hat in diesem Jahr ihre Rookie-Saison bei den New York Liberty begonnen, im oftmals als "Superteam" bezeichneten Starensemble - mit den US-Nationalspielerinnen Breanna Stewart und Sabrina Ionescu - hat sie sich in der Rotation etabliert. "Sie hat gezeigt, wieviel Potential in ihr steckt, dass sie in dieser Liga mitspielen und irgendwann eine Leistungsträgerin sein kann - ich bin richtig stolz auf sie", blickt Marie Gülich auf die Entwicklung Fiebichs.
In New York ist auch Nyara Sabally aktiv, die mit ihrer Kombination aus Physis und gutem Ballhandling für eine große Spielerin auf dem Weg zum Korb oft nur mit einem Foul zu stoppen ist. Luisa Geiselsöder ist zwar nicht in der WNBA aktiv, wurde wie Satou Sabally und Fiebich aber auch im Draft 2020 gezogen, ihre Draft-Rechte liegen mittlerweile nicht mehr bei den Dallas Wings. Geiselsöder war mit ihren guten Bewegungen im Low-Post eine Stütze in der Olympia-Vorbereitung.
Mit Marie Gülich und Alexis Peterson gibt es im deutschen Team zudem noch zwei ehemalige WNBA-Spielerinnen. Gülich hatte in den vergangenen Jahren darauf verzichtet, es weiterhin in der US-Profiliga zu versuchen, da ihr die Doppelbelastung aus zwei Ligen in einem Jahr zu viel geworden ist. Dafür hat sie sich beim EuroLeague-Team aus Valencia als einer der besten Center-Spielerinnen Europas etabliert, in der vergangenen Saison gewann sie das Triple.
Was die zuvor genannten Spielerinnen, Peterson ausgenommen, eint? Schon in jungen Jahren Deutschland verlassen, der Damen Basketball-Bundesliga den Rücken gekehrt zu haben. Satou Sabally wechselte 2019 als 19-Jährige vom Erstligisten Freiburg ans College nach Oregon, als Teenager sind auch ihre Schwester Nyara und Gülich in die NCAA gegangen. Diesen Weg schlugen auch Emily Bessoir und Lina Sontag ein, die bis zur vergangenen Saison an der renommierten UCLA aufgelaufen sind. Dort entwickelte sich Bessoir zur Leistungsträgerin, wenn mehrere schwere Knieverletzungen nicht gewesen wären, hätte sie sich vielleicht auch auf das Draft-Radar der WNBA gespielt. Nach einer langen Reha hat Bessoir aktuell noch keine Olympia-Minuten gesehen, Sontag hat hingegen mit Spezialaufgaben überzeugt.
Fiebich und Geiselsöder sind mit 21 bwz. 20 Jahren ins europäische Ausland gegangen, in die stärker einzuschätzende französische Liga. Dort spielte Geiselsöder bei Basket Landes zuletzt mit Alexis Peterson zusammen, was sich nun auch im DBB-Team auszahlt. "Wir haben diese Connection, ich fühle mich pudelwohl", sagt Geiselsöder zum Zusammenspiel im Pick-and-Roll. Fiebich gelang der Durchbruch zur europäischen Topspielerin in den vergangenen beiden Jahren in Saragossa, dort wurde sie sogar zweimal zur wertvollsten Spielerin der spanischen Liga gekürt. Sowohl Geiselsöder als auch Fiebich haben 2023/24 erstmals im europäischen Spitzenwettbewerb, der EuroLeague, gespielt.
Mit Frieda Bühner wird eine talentierte Nachwuchsspielerin zur kommenden Saison ebenfalls den Weg nach Spanien einschlagen, die 20-Jährige wird mit Movistar Estudiantes dabei im EuroCup antreten. Bühner führte die deutsche U20-Auswahl zum vierten Platz bei der EM, wurde in die beste Fünf des Turniers gewählt und stieß direkt danach zur A-Nationalmannschaft. Bei Olympia überraschte Bühner mit ihrer unerschrockenen Art und ihrem Stellungsspiel in der Zone, als sie gegen Belgien für die verletzte Nyara Sabally einsprang und zum X-Faktor avancierte.
Warum wollen bzw. können sich deutsche Talente nicht in der DBBL entwickeln? Weil die einheimische Liga nicht "attraktiv für junge deutsche Spielerinnen ist", bemängelte die langjährige DBB-Kapitänin Svenja Brunckhorst, die bei Olympia im 3x3 spielt, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im vergangenen Jahr. "Die Liga ist im internationalen Vergleich zu schlecht." So finden sich in der EuroLeague keine deutschen Teams, im zweitklassigen EuroCup sind in der kommenden Saison mit Keltern und Neuling Berlin immerhin zwei DBBL-Teams aktiv - zum ersten Mal seit 2019/20 und zum sechsten Mal überhaupt. Der Sprung von der DBBL in die WNBA und das nicht direkt über den Draft - was analog zur BBL und NBA bei den Männern Daniel Theis und Maxi Kleber gelungen ist - scheint bei den Frauen völlig utopisch.
Brunckhorst führt aus, dass man in der DBBL teilweise in "Schulsporthallen" spiele, auch Leonie Fiebich kritisierte die einheimische Liga. Hinsichtlich des Ausbaus der Liga tue sich "überhaupt nichts", sagte Fiebich in der Süddeutschen Zeitung im vergangenen Jahr. "Es wirkt alles so dermaßen unprofessionell."
Vor Beginn der letztjährigen EM, bei der den DBB-Frauen mit dem sechsten Platz das beste Abschneiden seit 1997 gelungen war und bei der sie den Grundstein für die Olympia-Teilnahme legten, hatte Fiebich zudem moniert: "Was wir leisten, geht unter, was total schade ist." Dabei hatte Fiebich schon einiges für den DBB geleistet. Zusammen mit Bessoir, Geiselsöder und Nyara Sabally gewann sie bei der U16-EM 2016 die Silbermedaille, zwei Jahre später krönte sich das Quartett bei der U18-EM zu Europameisterinnen - was unterstreicht, was für eine starke, ja goldene Generation im deutschen Frauen-Basketball hier eigentlich herangewachsen ist.
Um zukünftige Generationen zu stärken, hat die DBBL zuletzt einige Maßnahmen beschlossen: von hauptamtlichen Nachwuchstrainern hin zu einer Quotenregelung. Bis dies aber zu qualitativ besseren und mehr Profis führt, wird Zeit verstreichen, über ein Strahlkraft-Event wie die WM 2026 in Berlin hinaus.
Dann wird die aktuelle Generation sich noch weiter gesteigert haben - die Hälfte des Olympia-Kaders ist nicht älter als 24 Jahre - und noch eingespielter sein. Der Kern um die Sabally-Schwestern, Fiebich und Gülich hat zusammen erst sechs Länderspiele absolviert, Verletzungen, Karriereplanungen oder einfach der Mangel an Länderspielen haben bislang mehr verhindert. Einiges mag sicherlich auch am Commitment der eingebürgerten Alexis Peterson hängen, um die sich der DBB ein Jahr lang bemüht hatte. Denn eine Aufbauspielerin von dieser Qualität - wie sie mit ihrer Geschwindigkeit in die Zone zieht, nach Wurftäuschungen abschließt und Mitspielerinnen bedient - gibt es im deutschen Frauen-Basketball nicht. Wie bei den Männern ist auf den großen Positionen in der Quantität mehr Qualität gegeben als auf den kleinen.
Hinsichtlich des aktuellen Kaders, dem Potential junger Spielerinnen und den Entwicklungen der vergangenen Jahre lässt sich positiv in die Zukunft blicken. Das tut auch Lisa Thomaidis. "Vor einem Jahr waren wir in der Weltrangliste auf dem 36. Platz, jetzt sind wir 19. Ich weiß nicht, ob eine andere Mannschaft innerhalb so kurzer Zeit so hoch geklettert ist", sagte die Bundestrainerin zum Vorbereitungsstart. "Unser Ziel ist es, in den nächsten zwei Jahren zu den zehn besten Teams der Welt zu gehören." Bisher sieht es so aus, als könnten die DBB-Frauen dies sogar noch früher erreichen - was den Aufwind des deutschen Frauen-Basketballs unterstreicht.
Manuel Baraniak