09.07.2024, 09:09
Die Legende auf der Suche
Kevin Durant gehört zu den besten Spielern, die es je gegeben hat, und hat selbst den vielleicht schlimmsten Feind eines Basketballers besiegt. Sein Resümee ist eigentlich komplett - und gleichzeitig wirkt die Karriere des 35-jährigen Stars der Phoenix Suns merkwürdig unvollendet. Wie kann das sein? Und wie konnte es dazu kommen?
Es ist dabei, eine Art Frühlingstradition in der NBA zu werden: Unmittelbar, nachdem eine Saison für ein Team endet, erscheint bei gängigen Medien wie The Athletic oder ESPN ein Artikel voller Aussagen anonymer Quellen, die Unzufriedenheit mit dem Coach oder Front Office beschreiben. Meistens mit dem Coach. Oft keine Stunde nach dem letzten Buzzer.
Kevin Durant war nun schon einige Male in diese Tradition involviert - anonym natürlich. Im April schrieb The Athletic direkt nach dem Playoff-Aus der Suns, Durant sei "nicht immer glücklich" damit gewesen, wie er von Frank Vogel eingesetzt wurde. Dieses Gefühl war weder neu noch überraschend - ebenso wenig wie die Entlassung von Vogel, die kurze Zeit später folgte.
Eine gewisse Unzufriedenheit mit seinen Coaches begleitet KD schon lange. Fast über die gesamte Karriere, um genau zu sein, seit der Entlassung von Scott Brooks. Dass er nicht gerne für Billy Donovan spielte, bestätigte er mal (aus Versehen) auf Twitter. Zwischen ihm und Steve Kerr gab es spätestens im zweiten Jahr offene Spannungen. Bei Steve Nash forderte KD eine Entlassung, andernfalls wollte er getradet werden. Beides passierte nicht in dem Moment, aber jeweils ein paar Monate später. In rund anderthalb Jahren in Phoenix wird der im Mai verpflichtete Mike Budenholzer sein dritter Coach sein, der achte insgesamt.
Jeder der vier Stopps in Durants Karriere war für sich signifikant: In OKC wuchs er auf, erreichte die Finals und wurde zum MVP, in Golden State wurde er zweimal Meister, in Brooklyn und Phoenix zu dem Spieler, der den Achillessehnenriss besiegte und hinter sich ließ, besser als jeder andere vor ihm.
In Brooklyn spielte er zudem seine wohl beste Playoff-Serie, als er 2021 einen etwas kleineren Fuß davon entfernt war, den späteren Champion Milwaukee aus den Playoffs zu werfen. 35,4 Punkte, 10,6 Rebounds und 5,4 Assists lieferte Durant damals über sieben Spiele, 48, 9 und 6 im siebten Spiel, einer Overtime-Schlacht - es war sein Magnum Opus, trotz der Niederlage.
Zeitraum | Team |
---|---|
2007-2016 | Oklahoma City Thunder |
2016-2019 | Golden State Warriors |
2019-2023 | Brooklyn Nets |
2023-heute | Phoenix Suns |
Das sagt einiges, denn: Durant ist eine lebende Legende, nach LeBron James und Stephen Curry die prägende Figur der NBA über die letzten 15 Jahre. Sein Status ist gesichert, natürlich - er gehört auf jeder ewigen Bestenliste recht weit nach oben. Er ist die Idealvorstellung eines Scorers; Durant wurde zum Punkten gemacht wie ein Hai zum Essen.
Er hat auch eine der merkwürdigsten Karrieren der Neuzeit hingelegt. Eine enttäuschende, irgendwie.
Durant wirkt nunmehr seit fast einer Dekade wie ein Durstiger in der Wüste, nur mit dem Unterschied, dass dieser Durstige mit dem Geschmack des Wassers wohl unzufrieden wäre, sobald er welches findet.
Er verließ das Biotop OKC, um sich anderswo verwirklichen zu können - was ihm auch gelang, mit einem Warriors-Team, das mit ihm, wenn gesund, unschlagbar war, Basketball durchspielte. Es reichte ihm nicht. Er suchte sich mit Kyrie Irving in Brooklyn eine Franchise aus, die dem Star-Duo vorerst komplett hörig war, den Coach (Kenny Atkinson) entließ und viel Geld für ihren Kumpel DeAndre Jordan ausgab, obwohl sportlich nichts dafür sprach und ein besserer junger Center schon im Kader stand. Es reichte ihm nicht. Auf Wunsch von KD und Kyrie wurde dann auch noch für James Harden getradet, aber das ist … eine eigene Geschichte.
Bei Durant wirkten über die letzten Jahre selbst die glücklichen Momente selten glücklich. Es ist gut möglich, dass die Reaktionen auf seinen Wechsel zu den Warriors ihre Spuren hinterlassen haben, vielleicht hatte Durant - wie LeBron James bei seinem Wechsel nach Miami sechs Jahre zuvor - die Heftigkeit davon unterschätzt.
Anders als LeBron hatte er nach diesem Schritt, den ihm so viele übel genommen hatten, nie die Genugtuung einer emotionalen Rückkehr oder einer erfolgreichen Underdog-Story, wie sie die Cavaliers 2016 erlebten. Die Bucks-Serie 2021 kam dem am nächsten, doch es ist eine andere Dimension - unterm Strich hat KD nach Golden State nicht mehr die dritte Runde erreicht. Eigentlich ist sein Resümee komplett, aber man wird das Gefühl nicht los, dass etwas fehlt.
In den vergangenen Jahren waren Artikel, in denen es um seine Zufriedenheit ging oder nach seiner nächsten Station gefragt wurde, ständige Begleiter für Durant, äußerst selten ging es ausschließlich darum, wie gut er spielte (sehr gut!) oder wie bemerkenswert es war, dass er seine Verletzung SO hinter sich lassen konnte (sehr bemerkenswert!).
Das ist schade - und gleichzeitig nachvollziehbar, denn Stand jetzt ist Durants Karriere ein Mysterium. Es ist nicht einmal leicht zu beantworten, ob das primär an ihm liegt oder an anderen Faktoren. Fakt ist allerdings, dass KD Teil etlicher "What-Ifs" war, welche seine Karriere - und die Geschichte der Liga - entscheidend mitgeprägt haben.
Eine Auswahl:
1. 2008: Seattle wird zu OKC
Durant landete 2007 bei einer Franchise, die ein Jahr später entwurzelt und zu den OKC Thunder wurde, dabei von einer Großstadt in einen der kleinsten Märkte der Liga umzog. Kommt der Wechselwunsch 2016 auf, wenn KD in Seattle statt in Oklahoma City spielt? Möglich, aber unklar. Rückblickend hat Durant gesagt, dass er gerne beteiligt wäre, sollte Seattle wieder ein NBA-Team bekommen … (dass Seattle mit den fünftschlechtesten Odds den zweiten Pick bekam, und dass Portland an Position 1 nicht Durant, sondern Greg Oden draftete, sind eigene What-Ifs)
2. 2012: James Harden wird getradet (Part 1)
In OKC wurde innerhalb von drei Jahren die vielleicht beste junge Talentkombination der NBA-Geschichte zusammen gedraftet. Durant, Russell Westbrook und James Harden wurden allesamt MVPs, hinzu kam auch Serge Ibaka. Das Team stand am Anfang seiner Entwicklung, als es 2012 mit purem Talent die Finals erreichte - es hätte die erste Teilnahme von vielen sein können. Es blieb die letzte. OKC sah sich nicht in der Lage, alle Spieler zu bezahlen und zufriedenzustellen, also wurde Harden schon ein Jahr vor Vertragsende nach Houston getradet. Das hätte irgendwann wohl ohnehin passieren müssen, aber nicht so früh. Es bleibt der größte Fehler in der eigentlich sehr starken Executive-Bilanz von OKC-Macher Sam Presti.
3. 2016: Klay-Game trifft auf Cap Spike
OKC stand kurz davor, die 73-9-Warriors zu eliminieren, bevor es Cleveland wenige Wochen später tatsächlich schaffte. In Game 6 verhinderte Klay Thompson das nahezu im Alleingang mit einer der wichtigsten Playoff-Leistungen überhaupt, die andere Entwicklungen erst möglich machte. Golden States Pleite in den Finals zeigte dann, dass noch "Bedarf" für jemanden wie Durant gegeben war. Jemand wie Durant war Free Agent. Und Golden State hatte, trotz eines bereits meisterlichen Kaders, die finanzielle Flexibilität für eine solche Transaktion, weil:
- Der Superstar des Teams Stephen Curry weit unter Marktwert bezahlt wurde, da er zu Beginn seiner Karriere oft Knöchelprobleme gehabt hatte.
- Der Salary Cap aufgrund des neuen TV-Vertrages binnen eines Jahres so massiv anstieg, dass Teams zum Teil gar nicht wussten, wo sie mit ihren Ressourcen hinsollten.
Man muss das so klar betonen: Der Wechsel, der Durants Karriere mehr oder weniger definiert, wäre in nahezu jedem anderen Jahr der NBA-Geschichte so nicht möglich gewesen.
4. 2021: James Harden wird getradet (Part 2)
Werden Irving und Durant in Brooklyn gemeinsam glücklich, falls es keinen Trade für Harden gibt, in dem (unter anderem) die jungen Talente Jarrett Allen und Caris LeVert sowie nahezu die gesamte Team-Zukunft in Form von Draft-Picks nach Houston verpfändet wird? Wahrscheinlich nicht (siehe unten) - aber es hätte klappen können, wenn dieses What-If nicht prompt von mehreren noch größeren What-Ifs übertrumpft worden wäre.
5. 2021: Durant steht auf der Linie
Eine vollständige Playoff-Serie absolvierte Brooklyn mit dieser Big Three (gegen Boston) - und sah darin fast unschlagbar aus. Dann folgte die Bucks-Serie, in der sich Harden und Irving beide verletzten. Am Ende war es de facto nur noch Durant, der Milwaukee fast im Alleingang eliminierte. In Game 7 traf er den vermeintlichen Wurf zum Sieg … stand aber mit dem Fuß auf der Dreierlinie, also glich er das Spiel nur aus und es ging in die Overtime, wo die Bucks sich letztendlich doch durchsetzten. Es hätten dann nur noch die Hawks gewartet. Wie würden wir auf Durants letzte Jahre blicken, wenn er die Nets 2021 in die Finals geführt hätte?
6. 2021-2023: Kyrie Irving passiert
Die Kyrie-Saga ist ihr eigenes Buch wert, hier daher nur die Kurzversion. Brooklyn galt als Favorit auf den 2022er Titel, nachdem die kurzen gemeinsamen Phasen 20/21 so überragend ausgesehen hatten. Es gab nur dummerweise das Problem, dass Irving sich nicht gegen Corona impfen lassen wollte, nicht spielen durfte und allerhand weitere Schlagzeilen produzierte. Harden fand das suboptimal und forderte recht bald einen Trade - letztendlich sollte das Trio, das kurzzeitig wie das beste Offensiv-Trio der NBA-Geschichte aussah, gemeinsam nur 17 (SIEBZEHN!) Spiele absolvieren.
7. 2022: James Harden wird getradet (Part 3)
Der primäre Gegenwert für den wechselwilligen Superstar war ein Spieler, der seit dem Trade 57 Spiele für Brooklyn absolviert und 31 seiner 72 Freiwürfe getroffen hat. Eine Big 3 waren Durant, Irving und Ben Simmons nicht, vereinfacht gesagt …
Klammern wir Durants Suns-Abenteuer mal aus und blicken nur auf diese sieben What-Ifs: Stand Durant hier, abgesehen vielleicht von 2016, auch nur ein einziges Mal auf der "richtigen" Seite? Wie oft konnte er tatsächlich etwas dafür, dass er das nicht tat? Selbst bei seinen Entscheidungen, die man zum Teil kritisieren konnte, war er mehr als einmal AUCH das Opfer seiner Umstände. Es ist eine komplizierte Karriere, bei fast jeder individuellen Abzweigung.
Es ist auch nicht gesagt, dass Besserung in Sicht ist. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass Durant zwar immer noch ein überragender Spieler ist, aber nicht mehr der jährliche MVP-Kandidat früherer Tage. Das zeigt sich vor allem in den Playoffs, wo er in den letzten drei Jahren zweimal in Runde eins gesweept wurde und beim dritten Mal, in Runde zwei gegen Denver, unter seinen Möglichkeiten blieb.
Physis macht ihm mehr zu schaffen als früher - KD ist weniger explosiv, kommt nicht mehr oft an leichte Abschlüsse in Korbnähe, wenn es darauf ankommt. Er ist abhängiger vom Jumper, hat abgesehen von Golden State fast immer - was auch mit seinen Präferenzen zusammenhängt - in eher unkreativen Offensivsystemen gespielt, die es ihm nicht zwingend leichter machen.
Idealerweise sollte Durant heute wohl der zweitbeste Spieler seines Teams sein, defensiv abgesichert, bei der Reboundarbeit entlastet und beim Playmaking unterstützt werden - die Suns 23/24 taten kaum etwas davon. Devin Booker ist jünger und heute wohl besser als Durant, aber sehr ähnlich in puncto Stärken und Schwächen; bisher halfen sich beide eher indirekt, hoben sich aber nicht gegenseitig auf die nächste Stufe.
Vielleicht fällt Budenholzer etwas ein, um dies zu ändern. Vielleicht findet er einen Weg, die Defense zu verbessern, vielleicht funktioniert trotz der limitierten Mittel auch der Supporting Cast im nächsten Anlauf besser. Vielleicht erscheint im kommenden Frühling aber auch schon der nächste Artikel voller anonymer Zitate.
Vielleicht bleibt es einfach dabei, dass Kevin Durant eine dieser Karrieren hinlegt, die im Nachhinein vor allem eine Reaktion hervorrufen: Was ist passiert? Und vielleicht gibt es darauf keine zufriedenstellende Antwort.
Ole Frerks