11.09.2024, 08:35
Atlanta fand keinen Abnehmer
Trae Young liefert seit Jahren Statistiken ab wie ein veritabler Superstar - sein eigenes Team scheint diesen Status allerdings nicht mehr anzuerkennen. Schlimmer noch: Bisher tut es auch sonst niemand. Warum der 25-Jährige aktuell sowohl unter- als auch überbewertet zu sein scheint.
Dass die NBA ein schnelllebiges Geschäft ist, ist ein alter Hut - andererseits ist es trotzdem zum Teil erstaunlich, wie rapide sich Dinge verändern können. Ein Beispiel: Es ist bloß gut drei Jahre her, dass die Atlanta Hawks den Osten erschütterten und bei der ersten Playoff-Teilnahme direkt Runde drei erreichten.
Trae Young sah damals aus wie eins der künftigen Gesichter der NBA, wurde (vor allem) in New York gefürchtet und verachtet. Das Spiel mit dem Publikum beherrschte er so gut, dass nicht wenige in ihm so etwas wie den nächsten Reggie Miller sahen, in der Riege der größten Antagonisten der Liga-Historie. Atlanta wiederum lag dem damals 22-Jährigen zu Füßen.
Nun betätigen wir einmal die Vorspultaste - überspringen dabei drei Saisons mit 26-28 Punkten und 10-11 Assists im Schnitt - und lesen Nachrichten wie: "Wenn es einen echten Markt für Trae Young geben würde, wäre er jetzt schon woanders." Oder: "Wenn die Spurs Trae Young gewollt hätten, hätten sie ihn ohne Probleme bekommen" (jeweils Tim MacMahon, ESPN).
Selbst wenn Young noch immer für die Hawks spielt, den Status von vor drei Jahren hat er nahezu komplett verloren, sodass ein Trade des populärsten Hawks-Spielers seit Dominique Wilkins niemanden mehr ernsthaft verwundern würde. Wie konnte es so schnell so weit kommen?
Zwei kontextuelle Probleme gehören mit in die Begründung. Erstens sind die Hawks über die letzten Jahre enttäuschend unterwegs - und das konstant, obwohl sich am Teamgefüge und auch an der Seitenlinie immer wieder Dinge verändert haben. Nach 2021 wähnte sich Atlanta als Contender und gewann nacheinander 43, 41 und 36 Spiele. Das ist zu wenig, offensichtlich.
Zweitens geht es bei Young schon bald um den nächsten Vertrag. Die kommenden beiden Jahre läuft sein bisheriger Vertrag noch, für 26/27 bestünde dann eine Spieler-Option (knapp 49 Mio. Dollar). Zugelassen für eine Vertragsverlängerung ist er damit schon in der kommenden Offseason - die Frage ist nur, wie groß die Motivation dann auf Seiten der Hawks wäre, ihn tatsächlich länger ans Team zu binden.
Viel wurde bereits darüber berichtet, dass Luka Doncic kommenden Sommer den größten Vertrag der Liga-Geschichte unterschreiben kann (5 Jahre, 346 Mio. Dollar). Erreicht Trae im kommenden Jahr ein All-NBA-Team, könnte er diesen Supermax-Vertrag für 35% des Salary Caps theoretisch ebenso bekommen - anders als 2021 argumentiert heutzutage aber selbst in Atlanta niemand mehr, dass Young in der gleichen Spieler-Kategorie angesiedelt ist wie der Slowene, für den er am Draftabend 2018 getradet wurde.
Unklar ist wiederum: In welche Kategorie gehört er denn eigentlich?
Young ist mit nun fast 26 Jahren einer der kontroversesten Spieler der Liga, auch unter seinen Kollegen. Anonymen The Athletic-Umfragen unter den Spielern zufolge gehörte er über die vergangenen beiden Jahre jeweils zu den drei am meisten überschätzten Spielern der Liga, 2023 bekam er sogar die meisten Einzelstimmen.
Die Defense spielt dabei eine große Rolle - passend zur Wilkins-Tradition. Anders als beim "Human Highlight Film" ist bei Young aber nicht das Desinteresse das primäre Problem, auch wenn sein Effort über die Jahre nicht konstant war (es wurde 23/24 tatsächlich etwas besser). Er ist schlichtweg zu klein und schmächtig für fast alle Matchups, eine wandelnde Schwachstelle.
"Estimated Plus/Minus" zufolge rangierte Young 23/24 im 22. Perzentil in Sachen Individual-Defense, die Team-Defense der Hawks war in seinen Minuten - wie in mit einer Ausnahme bisher jedem Jahr seiner NBA-Karriere - deutlich schlechter, als wenn er nicht spielte. Das ist ein Kritikpunkt, der sich schwer wegdiskutieren lässt; unter allen Stars der Liga ist Young wohl der schwächste Verteidiger (ein paar Konkurrenten gibt es).
Was die Offense angeht, ist der Fall Young etwas komplizierter. Seine Counting Stats sind unglaublich - Rekord-brechend, Liga-führend, Superstar-Material -, aber nicht für alle überzeugend. So ist Young zum Beispiel der einzige Spieler, der je 29 und 9 in einer Saison auflegte und dabei kein All-NBA-Team erreichte. Über die letzten beiden Saisons schaffte er es nur einmal als Reserve ins All-Star-Game, obwohl er jeweils um die 26 Punkte und 10 oder 11 Assists im Schnitt auflegte (auch das gab es so fast noch nie).
Der inhärente Vorwurf ist irgendwie klar: Wenn Young so gut wäre wie seine Zahlen, müsste auch sein Team besser aussehen. Er repräsentiert als Spieler leere Kalorien, spielt für die Zahlen und nicht fürs Team, quasi. Dieser Vorwurf allerdings passt nicht so richtig zu der Tatsache, dass Youngs Teams - mit der Ausnahme 23/24 - immer besser waren, wenn er auf dem Court stand.
Was natürlich vor allem an seiner Offense liegt. Es gab über die letzten Jahre abgesehen von Nikola Jokic kaum einen Spieler, der sein Team konstant so viel besser im Angriff machte, wie Trae Young es tat.
Saison | On/Off-Differenz | Impact Offense | Impact Defense |
---|---|---|---|
18/19 | +1,3 (60. Perzentil) | +5,1 | +3,8 |
19/20 | +9,3 (93.) | +12,9 | +3,6 |
20/21 | +10,5 (95.) | +12,5 | +2,0 |
21/22 | +5,7 (82.) | +9,9 | +4,2 |
22/23 | +6,8 (87.) | +6,8 | 0 |
23/24 | -2,2 (41.) | +2,1 | +4,3 |
Das Problem: Auch diese Zahlen sind irgendwie doch wieder mit Vorsicht zu genießen. Young spielt Trae-Ball, bei dem er am liebsten nahezu immer den Ball hält und alle wesentlichen Entscheidungen trifft (nur Brunson und Doncic hielten den Ball 23/24 länger). Das funktioniert - aber eben nur zu einem gewissen Punkt, sonst müsste Atlanta als Team besser abschneiden.
Traes Spielweise ist bisher nicht wirklich dafür geeignet, andere Topspieler mit einzubeziehen, diese vielleicht sogar besser zu machen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er auch unter Quin Snyder ein unwilliger Off-Ball-Spieler blieb und zumeist still stand, wenn er den Ball doch mal abgegeben hatte.
Dass er nur zwei Catch-and-Shoot-Dreier pro Spiel nahm, die neuntmeisten (!) seines eigenen Teams, ist im Prinzip pure Verschwendung seines Wurftalents. Ein Spieler mit seinen Maßen braucht ein Off-Ball-Game, nicht zuletzt deshalb, weil ein Spieler mit seinen Maßen es auf dem höchsten Level nicht alleine On Ball schaffen kann.
Youngs Weigerung diesbezüglich ist einer der Hauptgründe dafür, dass das Hawks-Experiment mit Dejounte Murray scheiterte und im Juni via Murray-Trade nach New Orleans wieder beendet wurde. Sie bedingt auch das fehlende Trade-Interesse. Dabei könnten sehr viele Teams ein Talent wie Trae durchaus gebrauchen - aber für deutlich weniger von ihnen würde es Sinn ergeben, ihre gesamte offensive Identität nach einem Spieler wie ihm auszurichten.
Ein Stück weit erinnert diese Situation an Allen Iverson, auf einem niedrigeren Level. Kompromisslose One-Man-Shows waren schon in den 00er Jahren nicht leicht vermittelbar, weshalb weder die Sixers noch die Nuggets sonderlich tolle Gegenwerte für den 2001er Liga-MVP bekamen, als sie sich von ihm trennen wollten. In einer deutlich tieferen, besseren Liga wie heutzutage gilt das nur noch mehr.
Sie führen in der Regel ins Mittelmaß - der Ausnahme 2021 zum Trotz. Und ja, damals halfen komische Umstände (vor allem die Selbstauflösung der Philadelphia 76ers in Runde zwei) den Hawks durchaus. Nach diesem Run hat sich Atlanta lediglich zweimal via Play-In für die Postseason qualifiziert.
Und gleichzeitig: Irgendwie wirkt Young trotz allem ein Stück weit unterbewertet. Seine defensive Schwäche ist sehr real und ein Problem, mit dem jedes potenzielle Team irgendwie umgehen müsste. Was die Offense wiederum angeht, besteht ja durchaus die Möglichkeit, dass er sich in einem anderen Umfeld positiv weiterentwickeln könnte. Einer der weltbesten Pick’n’Roll-Spieler, Passer und Long-Range-Shooter (trotz zum Teil verheerender Wurfauswahl) ist er bereits.
In Atlanta wurde Young von Tag eins an hofiert, konnte letztlich tun und lassen, was er wollte - und sein Wort hatte viel Gewicht, als es beispielsweise darum ging, Coaches zu entlassen oder zu holen. Vielleicht sah er in diesem Kontext nicht die Not, sich selbst ein wenig weiterzuentwickeln. Vielleicht wäre das nicht überall so.
Vielleicht würde ein Trade, gerade dann, wenn kein klassischer Superstar-Gegenwert für ihn zurückkäme (weniger als für Murray?), sogar das entsprechende und wohl nötige Feuer in ihm entfachen, um sein ohnehin schon ziemlich üppiges Skillset zu erweitern. Vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht wird sich Young stattdessen auch in die Reihe einiger Spieler einordnen, die Zahlen wie absolute Superstars ablieferten und doch keine waren - und auch nicht entsprechend "begehrt" wurden. Er wäre nicht der erste, er würde auch nicht der letzte sein. Wie es scheint, bewegt sich Young so langsam auf den Punkt seiner Karriere zu, an dem er sich für eine Richtung entscheiden muss, ehe es alle anderen für ihn tun.
Eigentlich sollte beispielsweise nicht viel dagegen sprechen, dass sich ein Team wie San Antonio - mit dem vielleicht größten Defensiv-Talent der Geschichte, um ihn zu beschützen, massig Trade-Chips und einer klaffenden Langzeitlücke auf Point Guard - um einen elitären Offensiv-Guard wie Young bemüht, sobald dieser ansatzweise verfügbar wird.
Und doch ist es irgendwie verständlich, dass dies bisher allem Anschein nach überhaupt nicht passiert ist. Es liegt an Trae, das Bild von ihm zu verändern, ehe es sich verfestigt. Wo und in welcher Form auch immer.
Ole Frerks